Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
hatte das Fläschchen noch nicht auf dem Sims gestanden. Woher stammte es? Wer mochte es dort hingestellt haben? Forschend spähte er durch den Raum.
Oder hatte der Ondineaner es mitgebracht?
Der Mann kehrte ihm nun den Rücken zu, aber Gundhalinu war fest davon überzeugt, daß er ihn trotzdem scharf beobachtete.
Das Wasser des Lebens ...
Seit seiner Ankunft auf Tiamat lag ihm dieses Problem auf dem Herzen. In den vergangenen Wochen und Tagen hatte er sich unentwegt damit beschäftigt, während er mit der Justiz und den Vertretern des Zentralen Koordinations-Komitees um einen Kompromiß rang. Wie er nun diese Phiole in Händen hielt, kam es ihm beinahe so vor, als habe seine eigene Einbildungskraft sie hierhergezaubert.
Aber das war natürlich Unsinn. Jemand hatte das Fläschchen absichtlich in diese Halle geschmuggelt – es konnte kein Zufall sein. Aus einer Gürteltasche unter seinem Rock zog er einen Scanner, der zur Polizeiausrüstung gehörte, und den er aus Gewohnheit immer noch bei sich trug. Er vermaß und prüfte die Phiole, stellte fest, was über ihr Alter und ihre Herkunft bekannt war, und er nahm auch die Fingerabdrücke eines jeden Menschen auf, die das Objekt jemals angefaßt hatten.
Danach steckte er den Scanner in die Tasche zurück und stellte die Phiole wieder auf den Kaminsims. Verstohlen versuchte er herauszufinden, wer ihn bei seinem Tun beobachtete. Lediglich der Ondineaner starrte ihn an. Er hielt sich am entgegengesetzten Ende des Raums auf, und Gundhalinu ging zu ihm hin; unentwegt blickte er ihm dabei in die Augen. Als er an VX Sandrine vorbeikam, hielt der ihn am Arm fest; eine Entschuldigung murmelnd, befreite sich Gundhalinu und ging weiter, den Ondineaner fixierend. Der Fremde stand stocksteif da und erwiderte seinen Blick, bis er ihn fast erreicht hatte. Dann drehte er sich plötzlich um und tauchte in einem dunklen Türbogen unter.
Gundhalinu setzte ihm hinterher; jählings blieb er stehen, als der Piepser an seinem Gürtel sich plötzlich meldete. Fluchend sagte er sich, daß eine Meldung zu dieser späten Stunde sehr dringend sein mußte. Er warf einen Blick über die Schulter und suchte nach einem Ort, wo er die Nachricht entgegennehmen konnte; als er sich wieder umdrehte, war der vor ihm liegende, trübe beleuchtete Korridor leer. Wütend fluchte er aufs neue. In der Tür stehend, stellte er den Anruf auf seinem Funkgerät durch.
»Justizbehörde«, meldete sich eine Stimme.
»Hier spricht Richter Gundhalinu«, antwortete er. »Sie haben eine Nachricht für mich?«
»Richter Gundhalinu?« Die Stimme klang verdutzt. »Nein Sir, es liegt keine Nachricht für Sie vor:«
»Sie haben mich doch gerade angerufen«, schnauzte Gundhalinu. »Es muß eine Nachricht da sein.«
»Nein, Sir ...« Die Stimme klang verlegen. »Das muß ein Irrtum sein, niemand hat nach Ihnen verlangt. Hier ging überhaupt kein Anruf ein.«
»Na schön«, versetzte er barsch. »Danke.« Mit einer ärgerlichen Handbewegung schaltete er das Funkgerät ab. Er ging in die große Halle zurück und steuerte auf Vhanu zu, der sich mit JK Wybenalle, einem Vertreter des Zentralen Komitees, unterhielt. Sie standen an einem Buffet mit einheimischen Speisen; zubereitet wurden sie in einem überraschend gutgeführten Restaurant mit dem seltsamen Namen
Stasis.
»... Und was mag das wohl sein?« fragte Wybenalle auf Sandhi, indem er mit einer silbernen Gabel ein weiches, glänzendes Stück Fleisch aufspießte.
Gundhalinu faßte an ihm vorbei und nahm für sich selbst einen Happen. Er steckte ihn in den Mund und kaute. Das Fleisch war stark gewürzt und bißfest, wie er es in Erinnerung hatte. »Kosten Sie ruhig«, drängte er auf Sandhi, weil Wybenalle darauf bestand, seine Muttersprache zu sprechen. »Es schmeckt köstlich.«
Wybenalle sah ihn mit hochgezogenen Brauen an und bemerkte deshalb nicht Vhanus verblüffte Miene. Gundhalinu lächelte.
»Interessant«, sagte Wybenalle und kaute bedächtig. »Was ist es?«
»Eingelegter
Squam«,
erklärte Gundhalinu. »Eine einheimische Meeresschnecke, glaube ich.«
Die hellen Sprenkel aus Wybenalles schmalem braunen Gesicht nahmen eine weiße, anämische Färbung an. Er hörte auf zu kauen und schluckte den Bissen Squam krampfhaft hinunter.
»Das hier sollten Sie auch noch probieren ...« Gundhalinu zeigte auf kleine Küchlein mit Fischrogen.
»Entschuldigen Sie mich ...«, murmelte Wybenalle und sah sich mit verzweifelten Blicken im Raum um.
»Wir wachsen, oder wir
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