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Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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herumreichte. Das letzte Stück und das Häufchen Proviant schob er mit feierlichem Ernst Gundhalinu zu.
    Gundhalinu sammelte alles ein; seine Hände waren genauso verkrustet und verdreckt wie die der übrigen Männer. Ohne viel Umstände begann er zu essen, egal,
    was er da in sich hineinstopfte, und ohne groß auf den Geschmack zu achten.
    Die Sonne schob ihr glühendes Gesicht über den Horizont und ließ ihn blinzeln. Die Männer, die nicht bereits saßen, ließen sich auf den Boden plumpsen und holten ihre eigenen Essensrationen hervor, während der Pirat den Deckel der Grube zuklappte und mit den Füßen Asche und Schlacke darüberscharrte.
    Kaum jemand sagte etwas, wie immer, wenn eine Arbeitsschicht zu Ende war. Man hatte sich ohnehin nur noch wenig zu erzählen, und für das bißchen reichte die Kraft nicht mehr aus. Doch sie aßen immer in der Gemeinschaft, jeder gierte nach menschlicher Nähe, auch wenn keiner es eingestanden hätte. Das gemeinsame Essen war für Gundhalinu zum wichtigsten Ereignis des ganzen Tages geworden, das einzige, worauf er sich freute: im eiskalten Wind hockte er auf dem Boden zwischen diesen Männern, die ihn soeben noch tolerierten, ohne die er jedoch verloren gewesen wäre.
    Manchmal führte er mit dem Piraten sogar ein richtiges Gespräch. Der Pirat verfügte über eine sonderbare, eklektizistische Anhäufung von Wissen, wobei er sich das meiste selbst beigebracht hatte. Während sich Gundhalinu in seiner Bude von den Blessuren erholte, die man ihm zur Begrüßung zugefügt hatte, unterhielten sie sich mitunter stundenlang. Doch nun riskierte es der Pirat nicht mehr, ihn allzu oft anzusprechen; und anstatt selbst mit ihm auf Beutezug zu gehen, schickte er ihn mit dem Polizistenkiller los; er hatte Angst, ein freundschaftlicher Umgang mit einem ehemaligen Blauen könnte seine Position bei den anderen untergraben.
    Der Boden erzitterte; Gundhalinu verschluckte sich und mußte krampfhaft husten.
    »Die Grube ist beinahe voll, Pirat«, sagte jemand nach einer Weile. »Bald können wir einen Ausflug zum Posten unternehmen.«
    Über seine Feldflasche hinweg sah der Pirat den Mann an. Grinsend setzte er die Flasche ab. »Tjah ...«, sagte er, »du hast recht. Vielleicht sollten wir schon mal aussuchen, wer geht.« Die Luft schien vor Spannung zu knistern, als er in seiner Joppe herumkramte und den alten, rissigen Würfel hervorholte, den er hütete wie ein Juwel. »Die drei, die am nächsten dran sind, gewinnen, wie üblich. Diejenigen, die die beiden letzten Male beim Posten waren, spielen nicht mit.«
    Man hatte Gundhalinu die Regeln dieses Auswahlverfahrens erklärt, doch nun erlebte er es zum erstenmal. Plötzlich kam Leben in die abgekämpften, stumpfsinnig dreinblickenden Männer. Mit einem Eifer, den sie sonst nie an den Tag legten, beugten sie sich vor und riefen Zahlen. Die drei Gewinner verschafften sich eint. Pause von der erbärmlichen Schinderei und durften eint. Nacht an einem Ort verbringen, wo es einigermaßen zivilisiert zuging; dort gab es richtige Betten, Duschen und anständiges Essen. Im Posten tauschten sie die Ernte gegen die kleinen Dinge ein, die ihnen das Leben erträglicher machten, bis sie aus dieser Hölle erlöst wurden.
    »Was ist, Verräter«, sprach der Pirat ihn an. »Hast du dir eine Zahl ausgedacht?«
    Erschrocken blickte Gundhalinu hoch; er hatte nichts gesagt, wie immer. Er war sich nicht einmal sicher gewesen, ob man ihn überhaupt mitspielen ließ. Plötzlich übermannten ihn Hoffnung und Erregung, bis er genauso strahlte wie die anderen. Er befeuchtete seine aufgesprungenen Lippen und sagte: »Dreiundzwanzig.«
    Der Pirat nickte und stemmte sich auf die Knie. Er hielt den Würfel in den hohlen Händen und schüttelte ihn, den ekstatischen Moment verlängernd, in dem alles möglich war. In diesem Augenblick verstand Gundhalinu, warum diese Männer ihn zu ihrem Anführer gewählt hatten. Wenn der Würfel fiel, hatten drei Männer nicht nur eine Reise gewonnen – sie durften sich auch noch tagelang darauf freuen. Selbst den Verlierern blieb noch die Vorfreude, die Zeitspanne, in der sie überlegen konnten, welches kleine, kostbare, nicht lebensnotwendige Mitbringsel sie sich wünschen sollten.
    Der Pirat streckte die Hände aus, die in ein goldenes Licht getaucht wurden, und ließ den Würfel fallen.
    Triumphgeheul und enttäuschte Schreie hallten wie eine betäubende Kakophonie in Gundhalinus Ohren, die sich an die Stille gewöhnt hatten.

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