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Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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massierte er sich das Gesicht. »Als ich da drunten in dem Loch feststeckte, hast du da wirklich mit dem Mer gesprochen, oder habe tch es mir nur eingebildet?« Ihm fiel ein, daß er sich noch gar nicht für seine Rettung bei ihr bedankt hatte; er tat es auch jetzt nicht.
    Sie wandte sich um und rief: »Silky!« Dann gab sie eine Reihe von Trillern und Schnalzlauten von sich, so selbstverständlich, als gehörten sie zu einer menschlichen Sprache.
    Der Mer, der ihn anscheinend so aufmerksam beobachtet hatte, drehte den Kopf und watschelte über den Strand auf sie zu. Es war ein junges Tier, kleiner als die Ausgewachsenen, und an dem goldenen V auf der Brust erkannte man, daß es ein Weibchen war. Er beobachtete den Merling, wie er näher kam, zupfte an seinem Ohr und wäre plötzlich am liebsten davongelaufen, so fremdartig mutete ihn das Geschöpf an. Gleichzeitig hätte er zu gern das dichte, gescheckte Fell gestreichelt, und irgendwoher wußte er ganz genau, wie tief und weich das seidige Unterhaar war ... »Gehört dieser Mer dir?« fragte er.
    Sie sah ihn an, als hätte er eine Obszönität von sich gegeben. »Die Mers gehören niemandem. Sie ist eher eine Freundin. Tante Jerusha – ich meine, Kommandantin PalaThion – zog sie auf, als sie ihre Mutter verlor ... Sie heißt Silky.« Ariele zeigte auf den Merling und unterhielt sich weiter mit ihm in der Mersprache.
    Das Geschöpf stieß Pfiffe aus und mußte plötzlich niesen. Ariele lachte, legte die Arme um Silkys schlanken Hals, und der Merling stupste sie sanft mit der Nase an. »Sie fragt dich gerade, wie
du
heißt.«
    »Das stimmt doch gar nicht«, erwiderte Reede. Er beugte sich vor, und der Kopf des Merlings bewegte sich auf seine ausgestreckte Hand zu. Als Reede den pelzigen Körper berührte, machten seine Lippen und seine Zunge plötzlich die gleichen fremdartigen Laute wie dieses sonderbare Geschöpf – als ob er ihm antworten wollte.
    Ariele Dawntreader riß Mund und Augen auf. »Du kennst ja ihre Sprache!« staunte sie.
    Beinahe verzweifelt wandte er den Blick ab; er hatte keine Ahnung, was er gerade gesagt hatte, woher sein Mund wußte, wie die Laute zu formen waren, was ihn dazu trieb, Kontakt mit dem Mer herzustellen und sein wolkenweiches Fell unter seiner Hand zu spüren.
    Er sank im Sand auf die Knie, nicht wissend, ob es absichtlich geschah oder ob sein halberfrorener Körper einfach nachgab; es war ihm auch gleichgültig. Der Mer löste sich aus Ariele Dawntreaders Umarmung, um ihn mit seiner Schnauze zu erforschen; er schnüffelte, leckte, stieß ihn an, die ganze Zeit über vor sich hinmurmelnd, wie wenn er Konversation machen wollte. Reede schloß die Augen, ließ sich einfach treiben und hörte sich selbst in dieser unbekannten Sprache antworten.
    Wie lange dieser Austausch dauerte, wußte er nicht, denn das ihm vertraute Zeitmaß hörte in diesem Moment auf zu existieren, und die Ewigkeit begann. Doch als der Merling ihn schließlich in Ruhe ließ, sich von ihm abwandte und unbeholfen zu seinen Artgenossen zurückwatschelte, spürte er, daß er wirklich lebte, daß er real war. Plötzlich war er glücklich über sein ödes Gefängnis aus Gewalt und Schmerzen, weil es ihm diesen Augenblick ermöglicht hatte, in dem sich der Kreis schloß, er selbst wieder zu einer Ganzheit wurde und von einer Zukunft träumen durfte.
    »Du verstehst sie ja«, wiederholte Ariele immer wieder, aber vielleicht täuschten seine überreizten Nerven ihm auch nur ein Echo vor. »Du verstehst sie wirklich ... Du kannst uns ihre Sprache beibringen ...«
    Er schüttelte den Kopf, außerstande, ein einziges menschliches Wort zu sprechen; außerstande, ihr die Wahrheit zu sagen, selbst wenn seine Zunge ihm gehorcht hätte. Er versuchte aufzustehen; er wollte fortgehen, das Weite suchen, ehe er gänzlich die Kontrolle über sich verlor.
    Er fiel in den Sand zurück; wie gelähmt hockte er zwischen den Kieseln, als sein Körper ihm nicht gehorchte. Ariele kniete neben ihn nieder und sprach unentwegt auf ihn ein, aber er verstand nicht, was sie sagte. Sie zerrte an ihm und versuchte, ihm auf die Füße zu helfen.
    Widerstrebend, aber völlig ohne eigenen Willen, tat er, was sie von ihm verlangte, und beim nächsten Versuch konnte er aufstehen. Sie fuhr fort, ihm Fragen zu stellen, und auf einmal verstand er wieder.
    »... hierher gekommen? Wo ist dein Boot? Dein Boot?« wiederholte sie mit besorgter Miene.
    »Ich habe keins«, murmelte er, als er endlich seine

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