Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
lauter. Ein paar Gäste beschwerten sich, sie wollten ihre Drinks nicht in Gesellschaft eines haarigen Viehs zu sich nehmen, aber Tor kümmerte sich nicht um ihr Gemurre; schließlich war es ihr Club. Zwar gab es in der Straße mittlerweile noch mehr Spielhöllen, aber ihr Lokal war immer brechend voll.
»Wo bleibt denn der geheimnisvolle Mann heute abend?« Normalerweise kamen Niburu und Ananke immer in Begleitung eines Außenweltlers namens Kullervo. Sie wußte, daß die zwei für ihn arbeiteten, und sie wußte auch, in wessen Diensten Kullervo stand. Das Brandzeichen, das alle drei in den Handflächen trugen, hatte sie oft genug gesehen, damals, vor dem Großen Abzug, als sie für die Quelle Persiponës Spielhölle leitete. Als sie das erste Mal in ihrem neuen Club die Brandmale wiedersah, wäre ihr fast schlecht geworden. Doch dann sagte sie sich, die Tatsache, daß diese drei Männer in ihrem Lokal verkehrten, bedeutete noch lange nicht, daß die Quelle sich wieder für sie interessierte oder daß er sich persönlich auf Tiamat aufhielt. Jetzt lagen die Dinge anders; die Quelle konnte sich nicht mehr hinter Tiamatern verschanzen und aus dem Verborgenen heraus dunkle Geschäfte machen. Die Gesetze hatten sich geändert, wie alles andere auch.
Sie hatte keine Ahnung, wozu die Quelle Kullervo nach Tiamat geschickt hatte; es war ihr auch egal, solange sie nicht hineingezogen wurde. Nur weil die drei für einen Kriminellen arbeiteten, sanken sie deshalb noch lange nicht in ihrer Achtung. Einmal hätte sie um ein Haar einen Mann geheiratet, der für die Quelle tätig war.
Bisher hatte sie Kullervo nur erlebt, wie er an ihren Tischen gewann – pausenlos gewann er, egal bei welchem Spiel; aber da er sich nur selten zum Spielen hinreißen ließ, machte es ihr nichts aus; seinen gesamten Gewinn gab er immer sofort an seine beiden Männer weiter, die ihn unweigerlich gleich wieder verloren. Ihre anderen Gäste fanden das aufregend.
»Er wollte uns hier treffen.« Niburu zuckte die Achseln und lächelte. »Warum fragst du? Vermißt du ihn?«
Tor lachte. »Ich nicht, aber Ariele Dawntreader hat sich nach ihm erkundigt.«
»Da ist er ja.« Ananke zeigte mit dem Daumen über die Schulter.
Tor blickte in die Richtung und entdeckte Kullervo, der in dem flackernden Lichterspiel auf sie zukam. Tor schaute ihn länger an, als sie eigentlich wollte – teils, weil sie sein Gesicht faszinierend fand, und teils, weil er sie irgendwie nervös machte. Der Ausdruck in seinen Augen wirkte immer ein wenig irr; wenn sie ihn ansah, durchlief sie immer ein irrationaler Schauer aus Horror und Mitleid, obwohl er ihr gegenüber noch nie auch nur (he Stimme erhoben hatte. Für sie blieb er der geheimnisvolle Mann, nicht, weil er etwas Absonderliches getan hätte, sondern weil er so seltsam auf sie wirkte.
Sie blickte zu dem Tisch hinüber, an dem Ariele Dawntreader mit ihrer Clique saß; sie war neugierig, ob das Mädchen Kullervos Kommen schon bemerkt hatte; doch, sie hatte ihn gesehen. Sie war bereits aufgesprungen und dabei, sich ihm in den Weg zu stellen. Elco Teel Graymount wieselte ihr hinterher, hielt sie am Arm fest und zischelte ihr etwas ins Ohr, was sie jedoch sehr ungnädig aufnahm. Sie schüttelte seine Hand ab, furchte die Stirn und schlängelte sich weiter durch den vollen, lauten Raum. Kurz bevor Kullervo die Bar erreichte, holte sie ihn ein und sprach ihn an.
Tor sah, wie sich Arieles Gesicht veränderte, als er stehenblieb und sich ihr zuwandte – die Augen strahlten, die Wangen röteten sich, ihr ganzer Körper spannte sich vor freudiger Erwartung. Noch nie hatte Tor Ariele so lebendig gesehen, auch als Kind nicht. Sie wußte genau, was dieser Wandel bedeutete: Ariele war verliebt. Doch sie fragte sich, worin das Mädchen sich verknallt hatte – war es Kullervos Mysteriosität, seine Wildheit, der Hauch von Gefahr, der ihn umgab. Sie hoffte, es sei nicht so. Vielleicht hatte sie sich auch in sein Gesicht verliebt; vor dreißig Jahren hätte ein Mann mit diesem Aussehen ihr sofort den Kopf verdreht. Zu gern hätte sie gewußt, ob die Königin über Arieles Schwärmerei im Bilde war.
Kullervo kehrte ihr den Rücken zu, während er mit Ariele sprach, deshalb konnte sie seine Reaktion nicht sehen. Aber seit kurzem kam er jeden Abend in den Club – wie Ariele –, und jedesmal landeten die beiden in einem ihrer Privatzimmer. Jetzt nickte Kullervo, und sie gingen zusammen fort. Doch zu ihrer Überraschung merkte Tor,
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