Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
schrie, den Kontakt abzuwehren. Das nächste Mal prallte der Leib des Mers heftiger gegen den seinen, als er versuchte, ihn in die Höhe zu stemmen. Er fluchte, als der Ruck durch seinen ganzen Körper ging, bis ihm die Zähne klapperten. Doch er merkte auch, daß sich etwas bewegte – sein schmerzender Körper rieb sich am Felsen.
Wieder stieß der Mer ihn an, indem er den Rücken gegen seine Füße warf. Dieses Mal war er besser darauf vorbereitet; er versteifte die Beine, um die Kraft des Schlages zu verstärken. In diesem Moment rollte die nächste Welle in den Spalt. Sein Körper wurde hochgehoben, rutschte den Felsen hinauf und trieb plötzlich, frei im Wasser.
Er stieß einen Triumphschrei aus. Die Frau zog und zerrte ihn auf das Sims, auf dem sie kauerte, während der Mer von unten nachhalf.
Endlich lag er auf dem Fels, schöpfte tief und zittrig Atem, fühlte den festen Stein, der ihn nun trug, ihn vor dem Wasser schützte, und ihn nicht länger in einer tödlichen Umklammerung gefangenhielt. Er hielt sich daran fest, während es in seinem leeren Kopf summte und rauschte; in diesen Augenblicken spürte er weder Schmerzen noch nahm er Notiz von der Frau, die ihn gerettet hatte. Derweil stöberte sie in seinem Rucksack nach dem Seil, knüpfte es um seine Taille und band das andere Ende an ihrem Körper fest. Dann half sie ihm, sich soweit aufzurichten, bis er auf dem Felsen kniete. »Kannst du allein hochklettern? Wenn nicht, dann hole ich Hilfe.«
Er blickte hoch und prüfte die steilen, zerklüfteten Wände der Felsspalte. »Ich schaff's«, sagte er. »Aber du führst. «
Sie nickte und sah ihn eine Weile an, wie wenn sie sich nicht schlüssig wäre; doch dann fing sie an zu klettern. Er merkte sich jede einzelne Stelle, wo sie ihre Hände und Füße aufsetzte. Als das Seil sich zwischen ihnen straffte, stellte er sich schwankend hin. Ein Schwindelanfall übermannte ihn, und eine Weile mußte er sich gegen die Felswand lehnen. Schließlich riß er sich zusammen und kletterte der Frau mit grimmiger Entschlossenheit hinterher.
Sein Körper ließ ihn nicht im Stich. Zerschlagen, steif und zitternd vor Kälte, bewerkstelligte er den Anstieg; mit Geschicklichkeit und Balance machte er wett, daß er einen Arm kaum benutzen konnte. Zum erstenmal in seinem Leben war er dankbar für das Wasser des Todes.
Endlich erreichten sie den Rand der Spalte. Ein einziges Mal lachte er auf, triumphierend und über die Schönheit des Tages staunend, während er abermals an der gleichen Stelle stand, an der er beim erstenmal nichts als Mordgier gekannt hatte.
Die Frau kletterte bereits den Abhang hinunter zum Strand. Er zögerte, doch dann spürte er, wie das Seil um seine Taille sich straffte. Zu abgekämpft, um sich zu sträuben, ging er ihr hinterher.
Drunten, auf dem dunklen Geröllstrand, wartete sie auf ihn, mitten zwischen den Mers. Wie Kristall brachen sich die Wellen an ihren bloßen Beinen, Schaum umwirbelte ihre Fesseln wie vom Wind geblähte Spitzenröcke. Jetzt machte sich die Erschöpfung bei ihm bemerkbar, und er sackte gegen einen Felsblock, unsagbar froh, wieder festen Grund unter den Füßen zu haben. In seiner Nähe ruhten die Mers am Strand und beobachteten ihn sorglos und ohne erkennbare Neugier; dafür starrte die Frau ihn durchdringend an.
Er blieb so weit vom Wasser und den Mers entfernt, wie das Seil es zuließ. Als er den Blick der jungen Frau erwiderte, sah er, daß sie sehr jung war, fast noch ein Mädchen. Zu seinem gelinden Schreck vergegenwärtigte er sich, daß er sie bis vor kurzem noch für eine Göttin gehalten hatte. Jetzt, da er sie in aller Deutlichkeit sah, war sie nicht mehr von einer silbernen Aura umgeben, und ihr Körper strahlte auch keine irisierenden Regenbogenfarben ab.
Aber ihr Haar war fast weiß, und sie hatte das exotische Aussehen, das ihm bei einigen der Eingeborenen aufgefallen war; sie hatte einen sehr hellen Teint und war von einer beunruhigenden Schönheit. Ihr importierter Wetsuit schillerte in allen Farben, wenn das Sonnenlicht darauffiel. Mittlerweile hatte sich der Nebel verzogen, und die Sonne schien, von einer Corona aus Regenbögen umgeben, durch den glänzenden Dunst des Himmels.
Er betrachtete das Seil an seiner Taille, das ihn wie eine Nabelschnur mit der Frau verband; stumm saß er da, lauschte den Stimmen der Mers und dem Lied der Wellen. Schließlich legte er eine Hand um das Seil und hielt es fest, schickte sich jedoch nicht an, es
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