Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
leeren, stillen Ballsaal und stieg die Treppe hinauf; im Geist sah er immer noch die verräterischen Überbleibsel aus der Nacht der Masken; unterwegs zum Palast hatten ihn die zahllosen, auf Türschwellen und in Hauseingängen abgelegten Masken aus spöttischen Augenhöhlen angestarrt; sie warteten auf die Morgendämmerung, während ihre Besitzer sich in der Nähe miteinander vergnügten.
Er selbst hatte in dieser Nacht auch eine Maske getragen, Fate Ravenglass hatte sie ihm geschenkt; sie war ganz in Rot und Gold gehalten, glitzerte wie die Sonne, genauso lebensprühend, aber sie symbolisierte auch die Wut des Feuers ... Zu Beginn des Fests hatte er sich mit seinem Vater unterhalten, später zog er dann von einer Party zur nächsten; dabei fühlte er sich so leblos und unbeseelt wie seine Maske.
Obwohl sich ihm viele Frauen anboten, war er mit keiner mitgegangen; er war fest davon überzeugt, daß Mond diese Nacht allein verbringen würde, ihren vor langer Zeit abgelegten Treueschwur haltend, auch wenn sie in Gedanken bei einem anderen weilte. Seit der Rückkehr der Außenweltler hatte er seine Frau viele Male betrogen, trotz der guten Vorsätze, die er damals, bei ihrem Abflug, gefaßt hatte.
In dieser Nacht jedoch hatte er mit seinem Vater Erinnerungen an die Familie und an sein Zuhause ausgetauscht; er spürte die Einsamkeit und das Bedauern eines Mannes, der im Grunde weder eine Familie noch eine Heimat kannte. Sein Vater erzählte ihm, wenn die Hegemonische Gesellschaft das nächste Mal seinen Heimatplaneten besuchte, wolle er für immer dortbleiben. Sein Aufenthalt auf Tiamat während der Zeit des Wechsels habe ihm vor Augen geführt, wie frustrierend seine eigene Existenz war, die immer mehr einer Farce glich.
Während er durch die Straßen Karbunkels wanderte und über die Worte seines Vaters nachdachte, dämmerte ihm, daß auch für ihn eine Zeit des Wechsels angebrochen war; bevor die Sonne aufging, blieb ihm immer noch Zeit, mit der einzigen Frau zu schlafen, die er je aufrichtig geliebt hatte, und ihr einen neuen Anfang zu versprechen.
Geräuschlos ging er zu dem Schlafzimmer, das er bis vor wenigen Monaten noch mit seiner Frau geteilt hatte. Vor der geschlossenen Tür blieb er jählings stehen; zwei Masken lehnten nebeneinander an der Wand und verhöhnten stumm seinen absurden Traum. Lange starrte er darauf. Dann drehte er sich um und ging langsam den Korridor zurück.
BZ Gundhalinu nahm seinen Platz auf der mit Bändern geschmückten Tribüne zwischen Vhanu und dem Premierminister ein; alle sahen ihn an – er kam als letzter, wie ein bummelnder Schuljunge, obschon er der erste hätte sein müssen. Unter den rasch errichteten Zuschauertribünen lauerte das von schwimmenden Docks bedeckte Meer; an den Docks waren so viele Festival-Schiffe vertäut, daß vom Wasser kaum noch etwas zu sehen war.
Doch wo drunten der Pier endete, hatte man absichtlich eine freie Fläche gelassen, für das bevorstehende Ritual. Während er auf das dunkel schimmernde, unruhige Wasser starrte, spürte er, wie der ewige Rhythmus des Meeres ihn zu hypnotisieren begann. Sein Geist versank in den Fluten wie ein Stein, hinabgezogen in die Tiefe durch die Bürde seines neuen Wissens, durch die Last des Geheimnisses, das sich dort unten verbarg.
Er zwang sich wegzusehen, umklammerte das Geländer mit unnötig hartem Griff, und spähte forschend in die Lücke, die die Tribünen der Außenweltler von denen der tonangebenden Tiamataner trennte. Im Gegensatz zu den Außenweltlern trugen alle Tiamataner noch ihre Masken; erst nach Erfüllung des Rituals nahmen sie sie ab. Lediglich zwei unverhüllte Gesichter hoben sich gegen das Meer aus fremdartigen Larven ab – Funke Dawntreader und die Königin standen Seite an Seite. Sie berührten einander nicht, und ihre Gesichter waren genauso steif und starr wie Masken.
Er wünschte sich, Mond möge den Blick vom Wasser abwenden und ihn anschauen; schließlich drehte sie sich wirklich zu ihm um. Ihre durchscheinend helle Haut errötete, ihre Lippen hatten eine verräterisch kräftige Farbe, und ihre Augen sprachen von Sehnsucht und heimlichem Wissen. Ohne nachzudenken, berührte er seine eigenen Lippen und ließ die Hand gleich darauf wieder sinken. Noch immer bewegte er sich wie ein Schlafwandler, die neu gewonnenen Erkenntnisse betäubten seinen Geist, und ständig kamen weitere Einsichten hinzu.
»BZ ...« Vhanu schüttelte leicht seinen Arm. Erst jetzt drang in sein Bewußtsein,
Weitere Kostenlose Bücher