Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
des Ozeans versank.
Mond hob den Kopf und sah ihn an; stumm beobachtete ihr Gemahl, wem ihre gespannten Blicke galten, Wie um Kräfte zu sammeln, wandte sie sich ab, neigte den Kopf und machte einen in sich gekehrten Eindruck. Nach einer Weile breitete sie die Arme aus in einer Geste, die die Menge und die Meeresmutter einschloß, und begann mit dem festgelegten Ritual.
BZ schöpfte tief Atem, weil sich ihm die Kehle zuschnürte, als Mond ihr Lied anstimmte. Er betrachtete die maskierten und die unmaskierten Gesichter, während sie mit ihrer schönen, klaren Stimme die archaischen Formeln rezitierte; wie eine Meereswoge spülte der zeremonielle Sprechgesang über ihn hinweg, riß seine Vergangenheit mit und verkündete ihm, daß dies ein Wendepunkt in seinem Leben sei ...
»Ich hasse es«, murmelte Ariele und trat von einem Fuß auf den anderen, weil sie nicht länger ruhig stehen konnte. »Es ist so demütigend.« Sie berührte ihre Maske, ein Geschenk von Fate Ravenglass, die in diesem Kunstwerk sämtliche Farben des Regenbogens und des Meeres ineinander verwoben hatte. Die Maske war phantastisch, das hatte sogar Reede gesagt, der sich sonst nur für die Mers begeistern konnte.
Mit der Maske war sie sich wunderschön vorgekommen, als sie von einer Party zur nächsten wirbelte, und die ungezügelten Wonnen der Nacht mit ihrem auserkorenen Liebhaber teilte – bis er sie in der Morgendämmerung verließ; ihr blieb nichts anderes übrig, als allein zu der Zeremonie zu gehen, und die ganze Prozedur ohne ihn auszuhalten.
Eingeschnappt, weil Reede sie im Stich gelassen hatte, musterte sie die Außenweltler, die auf ihren eigenen Tribünen standen; alle unmaskiert, und mit neugierigen, verstörten Mienen. Sie beobachteten, wie ihre Mutter das traditionelle Ritual des Wechsels vollzog; dabei schauten sie drein, wie wenn die Tiamataner nichts weiter als Tiere seien, die man in drollige Kleider gesteckt hatte, damit sie menschliches Benehmen kopierten.
Unter ihren Blicken kam es ihr vor, als ob ihre schöne Maske verdorren und sterben würde, wie von einem Frosthauch berührt. Sie mußte sich beherrschen, um sich die Maske nicht vom Kopf zu reißen. Doch wenn sie das täte, wären ihr Gesicht, ihre Emotionen, ungeschützt den harten Blicken der Fremden ausgesetzt.
Plötzlich merkte sie, wie der Oberste Richter sie unverhohlen anstarrte.
Sie wandte das Gesicht ab, um nicht den Mann ansehen zu müssen, der behauptete, ihr Vater zu sein. Sie lauschte dem auf- und abschwellenden Singsang ihr Mutter; die Rezitation kam ihr eigenartig bekannt vor, obwohl ihre Mutter das Ritual vorher nur ein einzig Mal vollzogen hatte: um ihre richtige Großmutter zu ertränken, an jenem Tag, an dem sie selbst gezeugt worden war.
Sie betrachtete den Mann, den sie immer für ihr Vater gehalten hatte; allein stand er da, so wie sie, unerreichbar. Sein Haar glänzte wie der Sonnenaufgang; sah weder sie noch ihre Mutter an, nicht einmal den Außenweltlern gönnte er einen Blick; er stierte geradeaus aufs Meer. Sie rief ihm etwas zu, so laut, wie sie es riskieren durfte, doch er reagierte nicht, er schien von überhaupt keine Notiz zu nehmen.
Plötzlich brannten ihre Augen, und sie drehte sich zu Merovy, die auch allein gekommen war, weil Tamm nicht mal den Mumm besaß, hier aufzutauchen. Merovy verbarg ihre Sorgen hinter einer von Fates Masken; ihre hatte die Farbe von Nebel und Vogelschwingen; sie war von einer so raffinierten Schlichtheit, daß man sie auf den ersten Blick für langweilig oder häßlich halte konnte.
Ariele wunderte sich, wo Tammis stecken mochte. Selbst einsam, verspürte sie vielleicht zum erstem Mitleid mit ihrem Bruder und seiner stillen Frau. Sie faßte nach hinten und berührte Merovys Hand; sie spürte, wie ihre Schwägerin überrascht zusammenzuckte. Doch dann schlossen sich Merovys Finger um die ihren, und sie drückte sie warm und herzlich.
»Was soll an diesem Zeremoniell denn demütigend sein, Ariele?« äußerte sich jemand hinter ihr. Die Frag klang nur neugierig, nicht vorwurfsvoll.
Sie blickte über die Schulter; an der Stimme erkannt sie Clavally, und versuchte, sie unter all den Masken zu finden; natürlich war Merovy in Begleitung ihrer Eltern gekommen.
»Es ist die Art und Weise, wie die Außenweltler sich aufführen«, murmelte sie. »Wie sie uns studieren. Alles, was wir tun, werten sie als belanglos und einfältig ab. Sie glauben an gar nichts.«
»Im Gegenteil, sie glauben an alles«,
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