Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Ich weiß nicht, wie ich das anders nennen sollte … Mir brummt schon der Schädel von dem ewigen Krach bei euch. Früher gab’s da ein paar hinter die Ohren.«
»Wann?«
»Wenn jemand Widerworte gab.«
»Ach so«, sagte ich und sah Gerald an. Er grinste und zuckte mit den Schultern.
»Ich wäre jetzt wirklich gern mit dir allein, Gerald«, flüsterte ich ihm zu. Aber Susanne hatte mich trotzdem gehört.
»Tut euch keinen Zwang an. Aber ich muss ja hierbleiben. Ich soll ja im Wohnzimmer auf der Couch schlafen, wurde mir mitgeteilt.« Sie starrte pikiert auf den Christbaum.
Das nächste Mal kannst du ja im Hotel schlafen, dachte ich. Aber bevor ich den Satz aussprechen konnte, stand plötzlich meine Mutter im Nachthemd wieder im Zimmer. »Hier bist du also, Edgar. Langsam reicht es mir wirklich. Es ist gleich halb zwei, und ich bin todmüde.«
Ich schwieg schuldbewusst.
»Ach, Mutti, da bist du ja!«, rief mein Vater entzückt. Ob er seine Frau oder seine Mutter meinte, ließ sich schwer sagen.
Es entstand eine Pause.
Dann sagte Susanne: »Ilse, wolltest du nicht schlafen gehen?«
»Ja, Susanne, ich wollte schlafen, aber wie du siehst, war das nicht möglich.«
»Du warst doch stundenlang weg, da muss man doch irgendwann mal einschlafen.«
»Das ist lieb von dir, dass du dir solche Sorgen um mein Wohlbefinden machst.« Sie setzte sich demonstrativ in den freien Sessel.
Wieder entstand eine Pause, in der man nichts hörte als Gerald, der auf seinen Chips herumkaute.
»Also, falls du Sorge hast, dass es Edgar nicht gut geht bei uns, dann liegst du falsch, es geht ihm phantastisch.« Susanne sah Gerald kokett an und klopfte neben sich aufs Sofa. Gerald gehorchte und setzte sich neben sie. Wahrscheinlich tat er das eher aus einer alkoholbedingten Erschöpfung heraus und nicht, um seiner Mutter nahe zu sein. Dennoch grapschte sie sofort nach seinem Knie und fing an, es zu streicheln. Ich mag das nicht, wenn sie meinem Mann die Hand aufs Knie legt, auch wenn es seine Mutter ist. Sie trank noch ein Schlückchen Rum und sah meine Mutter herausfordernd an.
Die kam ihr zuvor: »Entschuldige, Susanne, aber du redest so undeutlich, das kann keiner verstehen.«
»Ich schlafe grundsätzlich sehr gut«, sagte mein Vater plötzlich. »Das Problem sind die anderen.«
Wir blickten uns an.
»Welche anderen, Papi?«, fragte ich. Ich schwitzte wieder, und in meinen Ohren hatte sich ein fieser hoher Ton eingenistet. Es piepste ununterbrochen, und ich hörte die Stimmen der Menschen um mich herum, als würde ich mich unter Wasser befinden.
»Na, bei dem Gequatsche hier kann doch keiner schlafen.«
»Ach, Edgarchen, du bist süß. Wie kommst du denn darauf? Du sollst doch jetzt noch gar nicht schlafen!« Susanne beugte sich vor und tätschelte seinen Oberschenkel.
Warum fummelte sie dauernd an fremden Männern herum? Auch meine Mutter war genervt: »Tu mir einen Gefallen, Susanne, und behandle meinen Mann nicht wie einen Debilen.«
»Was tu ich? Ich versuche ihn schon den ganzen Abend in unsere Gespräche mit einzubeziehen und kann dir sagen, dass ihm das sehr gut getan hat. Zumindest bis zu deinem Erscheinen hat er sich lebhaft an der Unterhaltung beteiligt.«
»Na ja«, sagte eine Stimme neben der Heizung.
Ich sah dort Rolfi zwischen den Hunden auf dem Boden liegen. »Rolfi, warum bist du nicht längst im Bett?«
»Außerdem unterbricht man Erwachsene nicht, wenn sie reden«, sagte Susanne.
»Ich hab doch gar nichts gesagt!«, meinte Rolfi und gähnte.
»Doch, du hast ›Na ja‹ gesagt. Das sind schon zwei Worte zu viel.«
»Susanne, lass mal, um die Erziehung meiner Kinder kümmere ich mich schon selbst«, sagte ich.
Gerald sah mich an und vergaß für einen Moment, weiterzukauen. Dann sagte er: »Ja, das ist allein unsere Sache.«
Ich musste ihn immer wieder ansehen heute Abend. Er sah müde aus, aber auf seltsame Weise wunderschön. Als würde er von innen leuchten. Seine Augen glänzten, und auf seinen Lippen hatte sich ein kleines Lächeln eingerichtet, und endlich waren die Grübchen in seinen Wangen wieder einmal zu sehen.
Die Stille wurde von der Türglocke unterbrochen.
»Ich geh schon«, sagte Gerald und blieb sitzen. Ich konnte mich auch nicht mehr erheben, ich war todmüde. Niemand machte Anstalten, die Tür zu öffnen. Eine tiefe Erschöpfung hatte sich über uns alle gelegt.
Es klingelte erneut.
»Gerald, wolltest du nicht öffnen?«, fragte Susanne.
»Ja, ich wollte. Aber jetzt will
Weitere Kostenlose Bücher