Tief im Herzen: Roman (German Edition)
über ihren Schlaf, dreißig Minuten, eine Stunde. Er konnte nicht aufhören, sie zu berühren – fuhr ihr mit der Hand durchs Haar, mit den Fingerspitzen über die Schwellung in ihrem Gesicht, streichelte ihre geschwungene Schulter.
Hatte er gesagt, daß er tief in seinem Innern etwas für sie empfand? Er begann sich Sorgen zu machen, was dieses Gefühl sein könnte. Nie hatte er das Bedürfnis gehabt, nach dem Sex bei einer Frau zu bleiben. Er hatte nie den Wunsch verspürt, sie einfach nur anzusehen, während sie schliefen, oder sie einzig um der Berührung willen zu berühren, und nicht, um sie zu erregen.
Er fragte sich, wohin sie sich bewegten.
Anna regte sich, seufzte, schlug die Augen auf und heftete ihren Blick auf Cam. Als sie lächelte, berührte ihn das sehr.
»Hallo. Bin ich eingeschlafen?« »Sah ganz danach aus.« Er suchte nach einer witzigen Bemerkung, einem lockeren, frivolen Spruch, aber ihm fiel nur ihr Name ein. »Anna.« Und er drückte seinen Mund auf ihre Lippen. Zärtlich, weich, liebevoll.
Der schläfrige Ausdruck war aus ihren Augen verschwunden, als er sich zurückzog, doch er konnte nicht in ihnen lesen. Sie atmete langsam ein und aus. »Wie war das?«
»Wenn ich das wüßte.« Sie wichen beide vorsichtig zurück. »Ich denke, wir sollten jetzt lieber die Pizza bestellen.«
Erleichterung und Enttäuschung kämpften miteinander in ihr. Anna entschied sich für die Erleichterung. »Gute
Idee. Die Nummer steht gleich neben dem Telefon in der Küche. Wenn es dir nichts ausmacht anzurufen, gehe ich schnell unter die Dusche und ziehe mir was an.«
»Einverstanden.« Zärtlich strich er ihr mit der Hand über die Hüfte. »Was für eine Pizza willst du?«
»Was ich nur kriegen kann.« Sie wartete, daß er zuerst aus dem Bett rollte, denn sie brauchte noch einen Moment.
»Ich gieße den Wein ein.«
»Großartig.« Sobald sie allein war, barg sie ihr Gesicht im Kissen und stieß einen erstickten Schrei aus. Sie war wütend auf sich. Wie kam sie nur auf die idiotische Idee, daß sie sich noch zurückziehen könnte? Sie war bis über beide Ohren in ihn verliebt.
Mein Fehler, gestand sie sich ein, mein Problem. Dann setzte sie sich auf und preßte die Hand auf ihr Herz. Und mein kleines Geheimnis.
Anna fühlte sich besser, als sie angezogen war und einen leichten Schutzschild aus Make-up aufgelegt hatte. Unter der Dusche hatte sie sich energisch ins Gewissen geredet. Vielleicht war sie verliebt in ihn. Das mußte ja nicht unbedingt schlecht sein. Menschen verliebten und trennten sich immerzu, und die klugen, die stabilen, genossen das Abenteuer.
Sie konnte durchaus klug und stabil sein.
Sie hatte es ganz gewiß nicht auf ein Happy-End abgesehen, auf einen weißen Ritter, auf den Märchenprinzen. Anna war schon vor langer Zeit den Märchen entwachsen, und ihre Unschuld war am Rand einer einsamen Straße verlorengegangen, als sie zwölf war.
Sie hatte gelernt, sich glücklich zu machen. denn nach der Vergewaltigung schien es viele Jahre so, als zöge sie das Unglück an. Sie hatte das Schlimmste überlebt. Zweifellos konnte sie auch mit einem leicht angeschlagenen Herzen überleben.
Auf jeden Fall war sie noch nie zuvor verliebt gewesen – sie hatte es vermieden, war darüber hinweggegangen,
darunter hindurchgeschlüpft, war noch nie Hals über Kopf hineingelaufen. Es könnte ein wundervolles Abenteuer werden, oder zumindest eine lehrreiche Erfahrung.
Und jede Frau, die einen Liebhaber wie Cameron Quinn fand, konnte sich glücklich schätzen.
Daher lächelte sie, als sie ins Wohnzimmer kam und ihn dort vorfand. Er hatte ein Weinglas in der Hand und starrte auf das Titelbild ihrer neuesten Modezeitschrift. Er hatte Musik aufgelegt. Eric Clapton flehte zu Laylah.
Als sie hinter ihn trat und ihm einen kurzen Kuß auf seinen Nacken gab, zuckte er zu ihrer Überraschung heftig zusammen.
Das schmollende Gesicht auf der Titelseite gehörte einem gewissen langbeinigen französischen Model namens Martine.
»Ich wollte dich nicht erschrecken.« Sie war etwas erstaunt, als sie auf die Zeitschrift in seiner Hand blickte. »Du warst wohl ganz vertieft in die neuen sommerlichen Pastellfarben, wie?«
»Ich hab’ mir bloß die Zeit vertrieben. Die Pizza müßte gleich kommen.« Er wollte die Zeitschrift weglegen, sie sogar unter die Polsterkissen des Sofas schieben, aber sie riß sie ihm aus der Hand.
»Ich hab’ sie früher gehaßt.«
Sein Hals war unangenehm trocken. »Hm?«
»Na
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