Tief im Herzen: Roman (German Edition)
Grunde genauso empfand. »Geh nach Hause, Anna.«
»Ich habe noch eine Stunde nach dem Dienstplan.«
»Geh nach Hause. Du hast es verdient.«
»Wenn du es so siehst, ja, ich könnte die Freistunde gebrauchen. Ich habe nichts zu essen im Haus. Wenn du noch mehr hörst über …« Sie brach ab und schaute auf, weil an die Tür geklopft wurde. Ihre Augen weiteten sich. »Cameron.«
»Ms. Spinelli, ich wollte fragen, ob Sie vielleicht eine Minute …« Sein Begrüßungslächeln verunglückte. »Was zum Teufel ist denn mit dir passiert?« Wie der Blitz war er im Zimmer, er rannte Marilou beinahe um, als er zu Anna eilte. »Wer hat dich geschlagen?«
»Eigentlich niemand, ich war …«
Statt ihr die Gelegenheit zu geben, den Satz zu beenden, fuhr er zu Marilou herum. Zwischen Faszination und Belustigung hin und her gerissen, wich diese einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. »Nicht ich, mein Freund. Ich schinde mein Personal zwar, aber ich werde nie handgreiflich.«
»Im Gericht gab’s ein Handgemenge, das ist alles.« Anna stand auf und bemühte sich, nicht allzu mitgenommen zu wirken. »Marilou, dies ist Cameron Quinn. Cameron, Marilou Johnston, meine Supervisorin.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, wenn auch unter diesen Umständen.« Marilou streckte ihm die Hand hin. »Vor einer Million Jahren habe ich bei Ihrem Vater studiert. Ich habe ihn geradezu verehrt.«
»Ja, danke. Wer hat dich geschlagen?« wollte er erneut von Anna wissen.
»Ein Mann, der jetzt bereits hinter einer verschlossenen Zellentür sitzt.« Schnell schob Anna ihre bloßen Füße in die flachen Pumps. »Marilou, ich nehme dein Angebot, mir die Stunde freizunehmen, an.« Ihr einziger Gedanke war, Cam hier herauszuschaffen und Marilous neugierigen und nur allzu scharfen Augen zu entziehen. »Cameron, wenn Sie mit mir über Seth sprechen wollen, könnten Sie mich nach Hause fahren.« Sie zog ihre taubengraue Jacke an und strich sie glatt. »Es ist nicht weit. Ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee ein.«
»Gut. Sicher.« Als er ihr Kinn in seine Hand nahm, fühlte sie Lust und Schrecken zugleich. »Wir werden darüber reden.«
»Wir sehen uns morgen, Marilou.« »Oh, ja.« Marilou lächelte entspannt, als Anna hastig ihre Aktenmappe an sich nahm. »Auch wir werden darüber reden.«
15. Kapitel
Anna schwieg solange beharrlich, bis sie das Gebäude verlassen hatten und sich allein auf dem Parkplatz befanden. »Cam, um Himmels willen.«
»Um Himmels willen, was?«
»Ich arbeite hier.« Sie blieb an seinem Wagen stehen und wandte sich ihm zu. »Arbeiten, erinnerst du dich? Du kannst nicht wie ein eifersüchtiger Liebhaber in mein Büro platzen.«
Er nahm wieder ihr Kinn in die Hand und näherte sich ihrem Gesicht. »Ich bin aber ein eifersüchtiger Liebhaber, und ich will den Namen des Mistkerls wissen, der dich angefaßt hat.«
Sie wollte nicht wahrhaben, daß die Heftigkeit seiner Reaktion sie entzückte.
»Mit der fraglichen Person befassen sich die zuständigen Behörden. Und du darfst während meiner Arbeitszeit nicht den Liebhaber spielen, ob eifersüchtig oder nicht.«
»Ach ja? Dann versuch doch, mich davon abzuhalten«, forderte er sie heraus und preßte den Mund auf ihre Lippen.
Sie sträubte sich zuerst, denn sie waren für alle sichtbar. Außerdem war der Kuß zu intensiv für eine Umarmung an hellichten Tag. Und deshalb konnte sie ihm auch nicht widerstehen. Sie erwiderte ihn, während sie ihre Arme um seinen Hals legte. »Hörst du jetzt auf«, bat sie dann an seinem Mund.
»Nein.«
»Na schön, dann laß uns wenigstens einsteigen.«
»Gute Idee.« Ohne sich von ihr zu lösen, griff er hinter sich, um die Wagentür zu öffnen.
»Ich kann nicht einsteigen, wenn du mich nicht losläßt.«
»Kluger Einwand.« Er gab sie frei und überraschte sie dann, daß er sanft und zärtlich mit den Lippen über die Schwellung an ihrer Wange strich. »Tut es weh?«
Ihr Herz vollführte immer noch kleine Saltos. »Ein bißchen
vielleicht.« Sie stieg ein und tastete nach ihrem Sicherheitsgurt.
»Was ist passiert?« fragte er, als er sich neben sie setzte.
»Einem Vater von drei Kindern, die er mißhandelt hat und der zugleich seine Ehefrau schlägt, gefiel meine Aussage heute vor Gericht nicht. Er hat mir von hinten einen Stoß gegeben, ansonsten hätte er eine harte Kniescheibe in seinen Unterleib gekriegt. Aber so hat er mich völlig überrumpelt. Ich bin der Länge nach hingefallen – was mich verärgert hätte,
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