Tief im Herzen: Roman (German Edition)
euch allen nützen würde, und dies wird ebenfalls als eine Empfehlung in meinem Bericht stehen, wenn das Gericht über die endgültige Vormundschaft entscheidet. Wie ich dir von Anfang an gesagt habe, steht Seth bei mir an erster Stelle.«
Sie stand noch immer hinter ihm, erkannte Cam, obwohl er ihr so viel verschwiegen hatte. Die Gewissensbisse trafen ihn wie ein harter Schlag.
»Ich war immer offen und ehrlich zu dir«, sagte sie, bevor er sprechen konnte.
»Verdammt, Anna …«
»Ich bin noch nicht fertig«, unterbrach sie ihn kühl. »Ich habe keinerlei Zweifel daran, daß ihr Seth ein stabiles Heim geben werdet und daß dieses Geschäft auf sicheren Füßen stehen wird, bevor du – wie du es ausdrückst – das Steuer in deinem Leben wieder herumwirfst. Was wohl bedeutet, daß du deine Karriere als Rennfahrer in Europa wieder aufnimmst. Du wirst einen Weg finden müssen,
deine Verpflichtungen und Bedürfnisse aufeinander abzustimmen, aber das ist nicht meine Sorge. Es mag eine Zeit kommen, in der die Vormundschaft angefochten wird, sollte Seths Mutter beispielsweise zurückkehren. Dann wird die Angelegenheit erneut beurteilt werden müssen. Wenn er weiterhin glücklich ist und sich bei euch gut entwickelt, werde ich alles tun, um dafür zu sorgen, daß er bei euch bleiben kann. Ich stehe auf seiner Seite und somit auch auf eurer. Das ist alles.«
Er spürte Scham und eine Spur von Erleichterung. »Anna, ich weiß, wieviel du für uns getan hast. Ich bin dir dankbar.«
Sie schüttelte den Kopf, als er die Hand hob. »Im Moment bin ich nicht besonders gut auf dich zu sprechen. Ich möchte nicht angefaßt werden.«
»Gut. Dann werde ich dich nicht anfassen. Setzen wir uns irgendwohin und sprechen wir uns aus.«
»Ich dachte, das hätten wir gerade getan.«
»Jetzt stellst du dich stur.«
»Nein, ich bin nur realistisch. Du hast mit mir geschlafen, aber du hast mir nicht vertraut. Die Tatsache, daß ich offen und ehrlich mit dir war, du aber nicht mit mir, ist jetzt mein Problem. Mit der Tatsache, daß ich mit einem Mann ins Bett gestiegen bin, der mich auf der einen Seite als angenehmen Zeitvertreib und auf der anderen Seite als Hindernis betrachtet hat, muß ich klarkommen.«
»So war es doch gar nicht.« Er wurde wieder wütend, und Panik ergriff ihn. »So ist es nicht.«
»Ich sehe es aber so. Jetzt brauche ich erst mal ein wenig Zeit, um auszuloten, wie ich mich damit fühle. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich zu meinem Wagen zurückfahren könntest.«
Sie drehte sich um und ging hinaus.
Er liebte das Feuer weit mehr als das Eis, und es gelang ihm nicht, den eiskalten Panzer, den sie um sich errichtet hatte, zu knacken. Cam hatte Angst, ein Gefühl, das ihm
nicht gefiel. Sie war von vollendeter Höflichkeit, freundlich zu Seth und zu Phillip, als sie ins Haus gingen, um ihre Sachen zu holen. Sie war auch Cam gegenüber vollendet höflich – so höflich, daß er fürchtete, noch tagelang die Kälte in den Knochen zu spüren. Er redete sich ein, daß sie darüber hinwegkommen würde. Sie war bloß eingeschnappt, weil er sich ihr nicht anvertraut, ihr nicht sämtliche intimen Details seines Lebens mitgeteilt hatte. Es war eine typisch weibliche Reaktion.
Schließlich hatten die Frauen die kalte Schulter nur deshalb erfunden, damit die Männer sich schäbig fühlten.
Er würde ihr ein paar Tage Zeit lassen, beschloß er. Sollte sie ruhig im eigenen Saft schmoren. Sollte sie wieder zur Vernunft kommen. Dann würde er mit einem Blumenstrauß zu ihr gehen.
»Sie ist sauer auf dich«, bemerkte Seth, als Cam an der Haustür stand und hinausstarrte.
»Was weißt du denn davon?«
»Sie ist sauer«, wiederholte Seth, der sich mit seinem Skizzenheft die Zeit vertrieb und im Schneidersitz auf der Veranda saß. »Sie hat sich zum Abschied nicht von dir küssen lassen, und sonst habt ihr euch immerzu abgeknutscht.«
»Halt die Klappe.«
»Was hast du getan?«
»Ich hab’ nichts getan.« Cam trat die Tür auf und stapfte hinaus. »Sie ist bloß zickig.«
»Du hast etwas getan.« Seth musterte ihn wissend. »Sie ist ja nicht blöd.«
»Sie wird darüber hinwegkommen.« Cam ließ sich auf den Schaukelstuhl fallen. Er würde sich nicht weiter den Kopf zerbrechen. Er zerbrach sich nie über Frauen den Kopf.
Cam hatte keinen Appetit mehr. Wie sollte er gebratenen Fisch essen, ohne sich daran zu erinnern, wie er an jenem Morgen mit Anna auf dem Steg gesessen hatte?
Er konnte nicht schlafen.
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