Tief im Hochwald - Kriminalroman
wissen ja, wo Sie mich finden«, sagte Feldmann und reichte Vanessa zum Abschied die Hand, die diese aber ignorierte.
»Herr Landscheid wird Ihnen das Protokoll morgen, wenn Sie wiederkommen, zur Unterschrift vorlegen. Ich werde dafür sorgen, dass Frau Baumgart dann auch hier ist«, bot Vanessa an.
»Vielleicht nutzen Sie ja die Zeit und machen sich Gedanken darüber, ob wirklich alles aus der Luft gegriffen ist oder ob es vielleicht für Sie von Vorteil sein könnte, wenn Sie sich erinnern. Ein Geständnis oder sogar eine Selbstanzeige würden sich durchaus positiv auswirken, denken Sie daran«, erinnerte Gunter.
»Mich interessiert vor allem, wer solche Ungeheuerlichkeiten verbreitet.« Der Pastor erhob sich schwerfällig und hielt auch seinem langjährigen Freund die Hand zum Abschied hin, der sich grußlos umdrehte und den Raum verließ. Der Pastor ließ sich kein drittes Mal abweisen und nickte Gunter nur zu.
»Eigentlich hätte ich Urlaub«, nörgelte Charlotte, als sie von Jungbluts zurückkam. Das Gespräch hatte leider keine neuen Erkenntnisse geliefert. Thomas Jungblut war ledig gewesen, hatte in einem eigenen Haus neben der Metzgerei gewohnt und keine offensichtlichen Feinde gehabt, keine Schulden, keine Probleme, die den Eltern, die ihren Sohn gut zu kennen glaubten, bekannt waren.
»Es sind Schulferien, meine beiden Kinder sind allein zu Hause, und ich bin schon wieder bei der Arbeit, statt mit ihnen ins Schwimmbad zu gehen oder Fahrrad zu fahren. Sie sind auch noch nicht alt genug, um sie einfach morgens mitzubringen und allein auf den Ruwer-Hunsrück-Radweg zu schicken.«
»Hättest du den Mut, sie in der Gegend allein losziehen zu lassen, wenn sie älter wären?«, hakte Vanessa verwundert nach.
»Selbstverständlich, wenn sie mir versprechen würden, in einer Gruppe zu bleiben … Es handelt sich offensichtlich um einen Täter, der seine Taten gründlich plant und nicht im Affekt handelt. Seine Opfer sind ja keine Zufallsopfer, auch seine Mordmethode, der Zeitpunkt und der Ort sind keineswegs zufällig. Ich hätte keine Bedenken, sofern sie sich auf dem Radweg halten würden, wo immer jemand vorbeikommt. Sie würden nicht in sein Beuteschema passen«, fasste die Psychologin zusammen.
»Also keine generelle Reisewarnung für den Hochwald?«, rief Gunter quer durch den Raum.
»Nein, ich würde hier jederzeit Urlaub machen, wo andere wohnen müssen«, parierte sie schmunzelnd. »Sofern die Hochwälder nur im Rudel vorkommen!«, schränkte sie noch einmal deutlich ein.
»Das beruhigt mich, dass Sie das so einschätzen, Frau Kollegin, mein Sohn hat mir nämlich beim Frühstück gesagt, dass er heute mit ein paar Leuten eine Radtour machen möchte, und ich habe ihm gesagt, er soll das im Moment sein lassen. Aber der Kerl ist zwanzig Jahre alt, der lacht bloß über die Sorgen seines Vaters«, sagte Landscheid.
»Ich denke, es ist sicherlich Vorsicht geboten, aber es gibt keinen Grund zu einer Massenhysterie«, beruhigte Charlotte.
»Frau Eiden hat mir gestern von einem neuen Gast erzählt, eine ältere Frau, die ursprünglich zwei Wochen hierbleiben wollte, aber Frau Eiden hat es ihr fast ausgeredet«, erzählte Vanessa. »Hellersberg sei nicht mehr sicher, sie solle sich am besten in ihr Zimmer oder in die Gaststube setzen, aber keinesfalls allein vor die Tür gehen. Sie sagt, abgesehen von dem Tag der Preisbekanntgabe kämen immer weniger Gäste, viele blieben aus Angst zu Hause. Die wenigen, die abends auf ein Glas Bier oder einen Viez vorbeikommen, philosophieren über den Täter und sprechen unhaltbare Verdächtigungen aus. Der Organist, dessen Mutter seit ein paar Tagen im Krankenhaus liegt und dem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, saß an den letzten Abenden in der Kneipe und hat sich fleißig an den Vermutungen beteiligt. Irgendwer hat ihm eine Runde nach der anderen spendiert, und nach einer Weile hat er dann angefangen, lautstark von den Missbrauchsfällen zu erzählen. Laut Frau Eiden hat er einiges an Zustimmung geerntet. Richtig verblüfft schien niemand gewesen zu sein, alle schienen von den Vergehen des Pastors gewusst zu haben oder hatten eine Ahnung davon.«
»Das ist wieder typisch. Die Leute glauben jahrelang nicht, was eigentlich auf der Hand liegt. Sie stricken sich ihre Wahrheiten so, wie es für ihr Gewissen und ihre Weltanschauung notwendig ist. Die mögen den Pastor kraft seines Amtes, und wenn sie nicht mehr wegschauen können, behaupten sie, sie hätten es
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