Tief im Hochwald - Kriminalroman
Feldmann, kann es sein, dass Sie die Tragweite dieser Anschuldigungen bislang nicht ganz verstanden haben?«, bohrte Vanessa. »Nach aktueller Rechtsprechung verjährt sexueller Missbrauch erst nach bis zu zwanzig Jahren nach Volljährigkeit der Opfer. Kennen Sie das Strafmaß?«
Feldmann schwieg.
»Im Falle einer Verurteilung drohen Ihnen bis zu zehn Jahre Haft«, ergänzte Gunter. »Aber die Richter erweisen sich als entgegenkommend, wenn die Täter es den Opfern ersparen, vor Gericht aussagen zu müssen.«
»Ja, aber was soll ich bloß aussagen?«, empörte sich Feldmann.
»Wie gesagt, heute Nachmittag werden wir Genaueres erfahren, danach können wir Sie präzise dazu verhören. Und wir werden auch andere mögliche Zeugen befragen, bis wir wissen, was konkret vorgefallen ist«, sagte Vanessa.
»Und glauben Sie mir, so ein Ruf ist schnell ruiniert. Es wird lange dauern, bis Ihr Ansehen wiederhergestellt ist, selbst wenn die Anschuldigungen sich als haltlos erweisen sollten«, sagte Gunter.
»Ich glaube kaum, dass jemand irgendwelche Anschuldigungen gegen mich erheben wird, weil es nichts anzuschuldigen gibt. Sie möchten mich doch nur einschüchtern, und ich verstehe nicht«, Feldmann wandte sich an Landscheid, »warum du bei so einem Schwachsinn mitmachst, Heiner.«
Bevor Landscheid etwas sagen konnte, fuhr Gunter ihm mit einer Geste über den Mund. »Wenn Sie nicht kooperieren, werden wir möglicherweise jeden Mann in Hellersberg befragen müssen, jeden Mann, der in den vergangenen dreißig Jahren in Hellersberg gewohnt hat und vor Ihnen geflüchtet ist oder der jeden Tag nach wie vor Ihre Visage sehen musste und an die Erniedrigungen erinnert wurde, während Sie von Gnade gepredigt haben. Unsere vorrangige Aufgabe ist, diesen Mörder zu finden. Wir haben den Eindruck, die Schlinge zieht sich langsam zu. Angefangen hat er mit einem Fremden, jetzt ermordet er Personen aus Hellersberg. Menschen, die Sie kennen und die die ganze Gemeinde kennt. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn das Dorf Sie dafür verantwortlich und Jagd auf Sie macht?«
»Herr Feldmann, ich möchte Sie nicht beunruhigen, aber wir haben den Eindruck, dass jemand späte Rache üben möchte. Sie wissen von den Todesfällen rund um Hellersberg, und wir sind inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass alle miteinander zusammenhängen. Es scheint tatsächlich ein Serientäter zu sein, der auf ein großes Finale hinarbeitet, und wir fürchten, als letzter Tod ist der Ihre geplant.« Vanessa hielt einen Moment inne, weil sie auf irgendeine nennenswerte Reaktion wartete, aber der Geistliche blieb völlig ruhig.
»Der Mörder scheint von diesem sexuellen Missbrauch zu wissen. Vermutlich war er sogar selbst betroffen«, sagte Gunter.
»Wir wissen nicht genau, nach welchem Schema der Mörder seine Opfer aussucht, aber der Zusammenhang zur Kirche und somit zu Ihnen wird immer offensichtlicher«, erklärte Vanessa.
»Wieso sehen Sie da einen Zusammenhang zu mir? Ich bin schon seit drei Jahren nicht mehr im Amt. Haben Sie auch meinen Nachfolger befragt, was der auf dem Kerbholz hat? Ich hoffe, der war deshalb eben bei Ihnen«, brummte Feldmann.
Die Ermittler ließen die Frage unbeantwortet im Raum stehen. »Wir befürchten, dass der Mord an Thomas Jungblut nicht der letzte war«, sagte Vanessa. »Wir rechnen mit mindestens einem weiteren Mord, und den würden wir gern verhindern, wie Sie sich sicherlich vorstellen können. Und ich hoffe, Sie möchten das auch gern vermeiden. Wir haben den Eindruck, der Kreis der möglichen Opfer wird enger und Sie haben eine Ahnung, wer das nächste sein könnte. Können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?«
»Hast du überhaupt ein Gewissen?«, hieb Landscheid in die Kerbe.
Der Pastor ließ seine Stirn auf die Tischplatte sinken, vergrub den Kopf zwischen den Armen und begann zu schluchzen. Sein ganzer massiger Körper wurde vom Weinen erschüttert und bebte. Vanessa wertete es als Schuldeingeständnis und empfand Ekel und Abscheu für den Würdenträger. Landscheid wollte etwas sagen, aber Vanessa hob die Hand und bedeutete ihm zu schweigen. Verärgert stapfte er in den vorderen Teil der Wache und brummte unverständlich vor sich hin.
»Wie soll ich das werten, möchten Sie uns das eine oder andere gestehen?«, fragte Gunter ungeduldig.
Der Pastor hob den Kopf. »Ich kann doch sagen, was ich will, mir scheint ja ohnehin niemand zu glauben«, schniefte er. »Früher hat man mir Respekt
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