Tief im Hochwald - Kriminalroman
genug, um eins dieser kleinen Netbooks hineinzutun. Der Inhalt ließ ihn staunen: eine kleine Gartenschaufel aus Metall und eine Plastiktüte vom Drogeriemarkt mit einzeln verpackten Feuchttüchern, zwei Überraschungsei-Figuren, einem kleinen Päckchen Taschentücher mit bunten Tiermotiven sowie zwei Magneten in Marienkäferform.
»Sonst lag da oben nur die leere Brotdose. Aber die war ganz bestimmt schon leer, ich habe nichts daraus gegessen, das schwöre ich«, stammelte Kevin Wahlen.
»Und wieso haben Sie die nicht mitgebracht? Wir wissen doch gar nicht, ob die wichtig ist. Gehen Sie noch mal hoch und holen Sie das gute Stück. Ich setze mich in der Zwischenzeit zu Wolfgang.«
Wolfgang Schindler hatte inzwischen wieder mehr Farbe im Gesicht. Er hatte eine Thermoskanne mit Kaffee aufgeschraubt und kam beim Trinken so langsam wieder zu sich.
»Und, was hat der Junge gefunden?« Seine Neugier gewann wohl die Oberhand über seinen Ekel.
»Nur eine Tasche mit Krimskrams und einer Schaufel, was auch immer das bedeutet. Weißt du was, du kannst mich mal mitnehmen bis zu diesem Passat, ich sehe mir das Auto auch mal an. – Wahlen«, rief Heiner nach oben, »ich bin dann mal beim Auto, bleiben Sie hier, bis die Kriminaltechnik da ist.«
Wolfgang Schindler kletterte auf den Fahrersitz und ließ den Traktor an. Heiner blieb auf der Ladefläche sitzen, um gleich bei dem Kombi aussteigen zu können. Das Gespann ließ sich nur schwer rückwärts rangieren, aber zum Wenden war kein Platz, und der Tote lag noch immer im Weg.
Als Wahlen zum zweiten Mal merklich blass die Leiter hinunterstieg und sich zu der Leiche umwandte, sah er dort, wo eben der Traktor gestanden hatte, etwas in der Sonne blinken. Ein flach gedrücktes, vermutlich sehr teures Handy lag in der Fahrrinne neben der Stelle, an der zuvor der linke Fuß des Toten gelegen hatte, bevor Heiner Landscheid ihn umgedreht hatte.
Hajo freute sich schon auf einen kühlen Viez. Diese moselfränkische Form des Apfelweins aus den typischen kleinen Äpfeln, die sich für nichts anderes nutzen ließen, war eben das beste Getränk nach einer Wanderung. Nachdem es in den letzten Tagen viel geregnet hatte, war es schon seit gestern Vormittag trocken und relativ warm für Mitte September. Im vergangenen Jahr war seine Frau Katharina vom Scheunenboden auf seinen alten Opel Kapitän gefallen und dabei tödlich verunglückt. Trotz des Schmerzes, dem Hajo kaum gewachsen gewesen war, hatte er versucht, etwas Gutes im Tod seiner Frau zu sehen, mit der er fast sein ganzes Leben geteilt hatte. Es war ihr immer wichtig gewesen, unabhängig und selbstständig zu sein, aber ihre Augen hatten bereits stark nachgelassen, und ihre Finger waren arthritisch geworden.
Wenn Hajo durch den Hochwald wanderte, dachte er oft darüber nach, ob ein derart schneller Tod zu einem Zeitpunkt, wo sie gerade noch selbstständig gewesen war, Katharinas Wunsch gewesen wäre. Wäre Katharina nicht genau auf der Kante zwischen Dach und Scheibe gelandet und hätte das Auto in der Mitte geknickt, hätte man vielleicht den alten Kapitän weiterhin nutzen können. Aber so hatte Hajo ihren Tod auch als Zeichen gesehen und nie wieder ein Auto angerührt. Seitdem wanderte er viel, erkundete die Natur mit seinem Rucksack, in dem er stets eine große Flasche klares Wasser, einen kleinen Flachmann mit Apfelkorn, einen in Stücke geschnittenen Apfel und meist zwei Scheiben Schwarzbrot und ein großes Stück Salami mit sich trug. Wenn er in der Natur unterwegs war, vermisste er seine Frau nicht ganz so sehr wie sonst, da sie selten mitgewandert war und er sein Hobby inzwischen ohne das schlechte Gewissen, sie den ganzen Tag allein zu lassen, ausüben konnte. Als verwitweter Frührentner wurden die Tage manchmal sehr lang und einsam. Darum war er schon heute Vormittag aus dem Haus gegangen und ein Stück des Saar-Hunsrück-Steiges entlanggewandert. Der Steig war seit rund drei Jahren fertiggestellt, und es gab immer wieder neue Abschnitte, die er erkunden konnte. Wenn er das Haus morgens verließ, bekam er meist einen günstigen Bus zum Anfangspunkt seiner Wanderung, sodass er eine gute Tagesetappe bis nach Hause vor sich hatte.
Als er auf den Gasthof »Zur Post« zuging, merkte er schon, dass es im Dorf irgendwie unruhig war. Normalerweise war an einem Mittwochabend gegen siebzehn Uhr dreißig nur wenig los im Ort, aber heute standen viele Autos auf dem Platz vor der Kirche. Da es noch warm war, hatte der Gasthof
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