Tief im Hochwald - Kriminalroman
spielte und sich in die Musik flüchtete. Er sah oft so aus, wovor war er bloß immer auf der Flucht? Irgendetwas mochte er verbergen, immer zuckte er erschrocken zusammen, wenn man ihn ansprach. Er hinterließ den Eindruck, sich nur auf seiner Orgelbank sicher zu fühlen, aber auch da hatte er oftmals einen Ausdruck im Gesicht, als wolle er der Orgel etwas heimzahlen. Es ging das Gerücht um, dass Rommelfanger in Berlin einige Zeit rumgehangen habe und von Frau zu Frau gestolpert sei, bis er nach einer großen Enttäuschung beschlossen habe, heimzukehren und seine Mutter zu pflegen. Aber das konnte doch nicht alles im Leben sein für einen Mann von fünfunddreißig Jahren.
Hajo fragte sich, ob Jürgen Rommelfanger sich eher dem neuen Pastor Lämmle anvertraute oder ob er noch mit Josef Feldmann sprach, wenn er beichten wollte. Aber er konnte diesem Gedanken nicht weiter nachhängen, da Ruth Eiden sich ihm gerade in den Weg stellte und ihm auf einem Tablett einen Viez hinhielt.
»Was sagst du dazu, dass unser Gast gestern gar nicht mehr kommen konnte?« Ruth Eiden ließ das leere Tablett sinken und wischte sich mit der feuchten Hand einige Haare aus der Stirn, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Hajo, wie Heiner Landscheid den Gasthof betrat und sich durch das Gedränge einen Weg zu ihnen bahnte.
»Ist dir noch etwas zu dem Fremden eingefallen, der anscheinend gar kein Farmerreferendar, sondern ein Medikamentenvertreter war?«, fragte Hajo.
»Die gleiche Frage wollte ich dir auch gerade stellen, Ruth«, sagte Heiner und zückte seinen Notizblock. Er blickte sehnsüchtig auf den Viezkrug, den Hajo bereits halb geleert hatte.
Ruth fragte, was sie Heiner bringen sollte, aber der antwortete: »Nein, Ruth, du bleibst mal bei mir, das ist so eine Art Zeugenvernehmung. Weißt du, wo Holger Zilk herkam und wohin er unterwegs war?«
Ruth sah Heiner erstaunt an. »Wer ist Holger Zilk?«
»Unser Toter selbstverständlich. Holger Zilk, sechsunddreißig Jahre, Pharmareferent. Wohnte in Speyer, arbeitete aber für einen Medikamentengroßhandel in Nürnberg. Wir haben eine Halteranfrage gestellt und darüber einiges herausgefunden. Im Kofferraum war ein Rucksack mit einigen persönlichen Utensilien: Kulturbeutel, ein Krimi, ein paar Socken und Unterhosen. Auf dem Rücksitz lag ein Kleidersack mit zwei Anzügen, Krawatten, Hemden und so. Jemand, der aus dem Koffer lebt, während zu Hause eine Frau und zwei Kinder warten. Oder eben nicht mehr warten, seine Frau hat ihn vor ein paar Wochen vor die Tür gesetzt und lebt inzwischen mit ihrem Kollegen zusammen. Ob die beiden mit dem Mord etwas zu tun haben könnten? Dann hätten sie das aber direkt in Speyer oder in Nürnberg erledigen können, wieso ausgerechnet hier?« Heiner griff geistesabwesend nach Hajos Viezkrug und leerte ihn in einem Zug.
»Ich weiß nur das, was ich dir schon erzählt habe«, antwortete Ruth. »Als er anrief, war in der Wirtsstube eine Gruppe Radfahrer, die mächtig viel getrunken und lautstark gesungen haben, darum konnte ich ihn am Telefon nicht richtig verstehen. Er sagte nur, er hätte in Hermeskeil zu tun und würde anschließend zu mir kommen, es könne aber später werden. Ich weiß auch nicht, wo er am nächsten Tag hinwollte, er war wirklich kaum zu verstehen.« Ruth wirkte, als sei ihr das Missverständnis mit dem Farmerreferendar peinlich, und sie versuchte, sich zu erklären, dabei machte ihr niemand einen Vorwurf.
»Wenn du mich nicht mehr brauchst, Heiner, ich könnte heute das Geschäft meines Lebens machen und weiß gar nicht, wie ich das allein schaffen soll«, drängte sie.
»Was zahlst du die Stunde?«, erkundigte sich Hajo.
»Wieso, willst du servieren? Ich bin nicht sicher, ob ich eine Schürze habe, die dir passt.«
»Nein, nein, ich bin verabredet, aber vielleicht wüsste ich jemanden für dich. Also wie viel?«
»Sieben Euro, mehr ist nicht drin.«
»Mal ehrlich, du verdienst in den nächsten drei Stunden so viel, besonders wenn du Hilfe hast, da geht auch noch mehr.«
»Verdammt, acht Euro, aber plötzlich!«
»Ich schicke dir gleich Hilfe. Bin draußen bei Ursula, wir sehen uns zur Versammlung.«
Zehn Minuten später saß Hajo endlich bei Ursula, die schon leicht verärgert war, da er sie hatte warten lassen, aber Hajo konnte sie mit den neusten Details, die er von Heiner erfahren hatte, besänftigen.
Hajo winkte Diana, der er eben kurzerhand einen Nebenjob verschafft hatte
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