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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Aufreißer war Erkan bekannt wie ein bunter Hund, und insgeheim überlegte Arno, ob Jenny sich vielleicht nur mit ihm eingelassen hatte, um dem Aufschneider irgendwann die kalte Schulter zu zeigen. Arno hoffte, dass es so war, denn dann hatte er vielleicht doch Chancen bei ihr. Sie war das hübscheste Mädchen in der Klasse, und auch wenn sie sich gern cool und unnahbar gab, erahnte Arno darunter doch eine nachdenkliche, sensible Seele.
    Weit voraus in der Dunkelheit flammten plötzlich zwei rote Augen auf. Der Bahnübergang! Kurz darauf konnte Arno im Licht der Scheinwerfer die reflektierenden, sich langsam senkenden Halbschranken erkennen.
    Pech, wie meistens!
    Im Fond des Wagens warf der junge Türke Jenny einen Blick zu, den sie schon zu oft bei ihm gesehen hatte, als dass sie noch darauf hereingefallen wäre. Diese gekonnt einstudierte Mischung aus gekränkter Eitelkeit und spitzbübischem
Charme stellte er immer dann zur Schau, wenn er von ihr nicht bekam, was er wollte. Auch die Verletzlichkeit in diesem Blick war gespielt, das wusste Jenny mittlerweile.
    »Was’n los?«, fragte Erkan.
    Jenny nahm einen schnellen Schluck aus der Flasche Becks. Dann strich sie mit der linken Hand ihr Haar zurück und achtete darauf, in dieser fließenden Bewegung ihr tiefes Dekolleté weit nach vorn zu strecken. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wohin Erkans Blick sofort wanderte.
    »Ich lass mich nicht auf’nem Rücksitz betatschen.«
    »Ey, mach mal halblang. Was heißt denn hier betatschen? Sind wir nun zusammen oder nicht?«
    Jenny beugte sich zu ihm rüber, ihre Brust berührte seinen Oberarm, ihre Lippen näherten sich den seinen.
    »Wenn ich es sage, vorher nicht.«
    Damit ließ sie ihn sitzen, wandte sich ab, starrte aus dem Seitenfenster und tat so, als gäbe es im vorbeihuschenden, finsteren Wald etwas zu sehen.
    Arno stoppte den Wagen vor der Schranke.
    »Scheiße«, grunzte Jens, »fahr doch drum herum.«
    »Spinnste?«, rief Jenny von hinten. »Nicht, wenn ich im Wagen sitze.«
    »Nur die Ruhe, hätte ich sowieso nicht gemacht.«
    Arno, als Einziger im Wagen nüchtern, drehte die Lautstärke ein wenig runter und warf nun doch einen Blick in den Rückspiegel. Leider bekam er nicht das Paar hübsche grüne Augen zu sehen, in dem vielleicht ein wenig Dank und Anerkennung aufblitzte, weil er hier nicht den Coolen markierte. Stattdessen tauchte Erkan zwischen den Sitzlehnen auf und rülpste. Der Gestank seines Atems widerte Arno an. »Du Arsch. Lass deine Gesichtsfürze hinten ab.«

    »Warum machste die Mucke leise?«
    »Is mein Auto, oder?«
    Arno war sich nicht sicher, ob Erkan wirklich sein Freund war, ganz sicher aber wusste er, dass er dessen selbstgefällige Art nicht ausstehen konnte. Immer alles klar und cool, und keiner kam an ihn heran, und dazu sah er auch noch unverschämt gut aus.
    »Du brauchst Stoff, oder?«, sagte Erkan und reichte die Flasche nach vorn. Viel war nicht mehr drin.
    »Ich fahre.«
    »Spießer.«
    Auf Arno konnte sie sich verlassen, das wusste Jenny, der würde nicht einfach um die Halbschranken herumfahren. Also hatte sie sich zurückgelehnt und lauschte der Unterhaltung nur mit einem Ohr. Ihr war schlecht, denn eigentlich mochte sie kein Bier. Außerdem hatte sie seit gestern wieder ihre Tage; ihr Unterleib schmerzte, und die Hormone spielten verrückt. Mehrmals am Tag schwankte ihre Stimmung zwischen euphorischer Heiterkeit und lähmender Melancholie. Der Alkohol wollte auch nicht so recht helfen, aber das hätte sie den Jungs wohl kaum erklären können. Erkan schon gar nicht.
    Sie starrte durch das Seitenfenster nach draußen. Der finstre, undurchdringliche Waldrand war zum Greifen nah. Das weiße Licht der Scheinwerfer vermischte sich mit dem roten Licht der Ampeln zu einer wächsernen, unnatürlichen Farbe, die der Dunkelheit kaum ein Stück der Straße entreißen konnte. Vor einer halben Stunde hatte es noch wie aus Eimern geschüttet, und im Wald schien es immer noch zu regnen. Eine feuchte Dunkelheit war das, undurchdringlich und irgendwie beängstigend.
    Jenny wollte sich gerade abwenden, da nahm sie eine Bewegung
wahr. Oder glaubte es zumindest. Sie sah genauer hin. Da war doch was gewesen, am Waldrand!
    Vielleicht ein Reh?
    Aber was sich dann aus der Dunkelheit löste, als sei es ein Teil von ihr, war ganz gewiss kein Reh. Es war etwas Schwarzes, Großes, Unförmiges, das auf zwei Beinen lief. Ein Mensch, und doch auch wieder nicht.
    »He, Leute!«, flüsterte sie.
    Da

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