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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Abend abgerungen hatte. Darauf standen in ihrer sehr sauberen Handschrift eine Telefonnummer und ein Name.
    Sven Schweers. Jasmins erster richtiger Freund.

    Das merkwürdige Gefühl unterdrückend, das dieser Name bei ihm auslöste, wählte Detlef die Nummer. Es war ein Handy, natürlich, was denn sonst. Der junge Mann war relativ schnell dran.
    Detlef erfuhr, dass seine Tochter das Haus der Schweers wie abgesprochen gegen zweiundzwanzig Uhr verlassen hatte. Sie war mit dem Fahrrad in Richtung Mariensee aufgebrochen, obwohl auch Svens Vater angeboten hatte, sie mit dem Auto zu bringen. Die Schweers besaßen einen Kombi, in dessen Kofferraum ein Fahrrad problemlos Platz fand. Doch Jasmin konnte sehr stur sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Da war sie wie ihre Mutter.
    Detlef Dreyer vereinbarte mit dem jungen Mann (der irgendwie sogar sympathisch klang und sich offenbar wirklich Sorgen machte) in einer Viertelstunde noch einmal anzurufen. So lange würde er brauchen, um die Strecke nach Friedburg mit dem Wagen abzufahren.
    Eilig zog er sich Schuhe an und steckte eine Taschenlampe ein. Zwei Minuten später ließ er das Ortsschild von Mariensee hinter sich und fuhr mit Schrittgeschwindigkeit durch den Wald. Nach der letzten Rechtskurve kam ein langes, gerades Stück, das bis zum Bahnübergang reichte und fast drei Kilometer lang war. Von der Kurve aus konnte Detlef erkennen, wenn die Ampeln auf Rot schalteten. Im Moment waren sie aus – und das Licht einer Fahrradlampe war auch nicht zu sehen.
    Detlef Dreyer wechselte zu Fernlicht. Langsam fahrend suchte er sorgsam die Straßenränder ab. Nervös trommelten seine Finger auf dem Lenkrad.
    Er hätte nicht beschreiben können, was in ihm vorging. Es war diese eine Situation, die Eltern sich oft ausmalten, und von der sie hofften, sie niemals erleben zu müssen. Vielleicht
waren Jasmin und er zu leichtsinnig? Vielleicht lag es daran, dass die Mutter fehlte? Anke hätte nie erlaubt, was er seiner Tochter erlaubte. Aber wenn ein Teenager ohne Mutter aufwachsen musste und der Vater vielbeschäftigt war, dann wurde der Teenager schnell selbstständig, handelte eigenverantwortlich und ließ sich zwangsläufig nicht mehr alles vorschreiben, auch vom Vater nicht. Müßig, jetzt darüber nachzudenken, das änderte nichts.
    Möglich, dass ihr nur die Kette abgesprungen war oder sie einen Platten hatte; vielleicht hatte sie auch ein angefahrenes Reh am Straßenrand entdeckt und wollte es nicht einsam sterben lassen. So war Jasmin, in solchen Situationen vergaß sie alles andere.
    Aber warum ging sie dann nicht an ihr Handy?
    Detlefs Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
    Die Antwort auf diese Frage ließ zu viele Spekulationen zu, von denen er nichts wissen wollte. Lieber nahm er sich selbst das Versprechen ab, Jasmin niemals wieder zu erlauben, nachts mit dem Fahrrad durch den Wald zu fahren. O Gott, hoffentlich gab es noch eine Gelegenheit für ihn, ein strengerer Vater zu sein.
    Die Ampeln schalteten um, und die Schranken senkten sich, kurz bevor er sie erreichte.
    Detlef Dreyer hielt den Wagen an, stellte den Motor ab und stieg aus. Noch war von dem angekündigten Zug nichts zu sehen und zu hören, dementsprechend still war es im Wald. Er ging bis zur Schranke vor und legte die Hände darauf. Da er die Scheinwerfer angelassen hatte, konnte er ein gutes Stück der Straße auf der anderen Seite einsehen. Auch von dort kam ihm kein einsames, einzelnes Licht entgegen.
    Die Schienen begannen zu singen.

    Er wollte gerade von der Schranke zurücktreten, als er im Wald neben der Fahrbahn auf der anderen Seite etwas aufblitzen sah.
    Chrom! Teile eines Fahrrades!
    Alles in ihm verkrampfte sich.
    Dann war der Zug heran. Es war ein ICE. Der machte nicht viel Lärm, aber umso mehr Wind. Die Wucht des Luftdrucks ließ Detlef taumeln. Er lief zum Wagen und holte die Taschenlampe.
    So schnell er gekommen war, verschwand der Zug auch wieder. Noch bevor die Schranken sich hoben, lief Detlef über die Gleise. Ein zweiter Zug hätte ihn getötet, aber er dachte nicht einmal an das Risiko. In seinem Kopf war nur noch Platz für das kurze Aufblitzen von Chrom. Er lief zu der Stelle, an der er meinte, es gesehen zu haben, schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete in den Wald.
    Keine drei Meter entfernt lag ein Fahrrad im Unterholz.
    Detlef Dreyer stolperte darauf zu und fiel auf die Knie. Die letzten Zweifel verschwanden und hinterließen nur noch Schmerzen in seinem Inneren. Es

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