Tief in meinem Herzen
deuten. Die lange Narbe verlieh seinem Blick etwas Geheimnisvolles. Direkt vor ihr brachte er das Pferd zum Stehen.
„Du bist wieder da“, begrüßte sie ihn und wurde rot. „Ich meine … ich wusste nicht, dass du heute wiederkommen würdest.“
Cesario lächelte. Offensichtlich war sie genauso nervös, ihn wiederzusehen, wie er.
„Normalerweise arbeite ich von hier aus, aber während der letzten Tage war meine Anwesenheit in Rom notwendig“, erklärte er. „Ich war gerade oben bei der Kapelle“, fuhr er fort und warf ihr einen sonderbaren Blick zu. „Hast du die Blumen auf Nicolos Grab gelegt?“
„Ja. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich auch auf Raffaellas Grab welche gelegt habe?“ Unsicher sah sie ihn an. „Sie tut mir leid. Sie ist so jung gestorben und unter solch tragischen Umständen.“
„Warum sollte es mir etwas ausmachen?“, fragte er leise. „Ich weiß doch, dass du ein weiches Herz hast, Beth Granger. Ich habe mir sagen lassen, dass dein Streuner dir mittlerweile überall hin folgt?“
Trotz seines strengen Tons wirkte Cesario nicht verärgert. Irgendetwas ist anders an ihm, überlegte Beth. Er wirkte entspannter. Und das Leuchten in seinen Augen, wenn er sie ansah, weckte eine Sehnsucht in ihr, die sie sich kaum erklären konnte.
„Kommst du mit?“, fragte er und streckte ihr eine Hand entgegen. „Es gibt keinen schöneren Ort der Welt als die Berge an einem sonnigen Morgen.“
„Ich habe doch gar keine Reitsachen an“, entgegnete sie verlegen und stieß einen kleinen Schrei aus, als er sie mit einem Ruck zu sich hoch aufs Pferd zog.
„Das vielleicht nicht, aber du siehst wunderschön aus, Cara mia . Das Kleid steht dir.“
Sie ritten einen schmalen Pfad entlang, der sich einen Berghang hinaufwand. Oben angekommen überquerten sie eine flache grasbewachsene Ebene, durch die sich ein kristallklarer plätschernder Bach schlängelte.
„Unglaublich“, murmelte Beth, als sie den traumhaften Ausblick auf die Berge sah. Irgendwo ganz unten im Tal konnte sie Oliena erkennen, dessen weiße Häuschen von oben wie Spielzeughäuser wirkten. Die terrakottafarbenen Dächer glänzten im Sonnenschein.
Neben einem Felsen stieg Cesario ab und half ihr herunter.
„Hier oben fühle ich mich meinem Sohn sehr nahe“, gestand er ihr. Er breitete eine Decke auf dem Boden aus und bedeutete ihr, sich neben ihn zu setzen. „Seit wir vor ein paar Tagen über den Unfall gesprochen haben, kann ich zum ersten Mal wieder Fotos von ihm ansehen und mich mit Freude an ihn erinnern“, erklärte er ihr bewegt. „Ich werde ihn immer vermissen. Aber ich habe so viele schöne Erinnerungen an ihn, die ich nicht mehr verdrängen möchte. Ich würde sie gern mit dir teilen.“
Er brach ab. Instinktiv legte Beth ihre Hand auf seine Hand.
„Erzähl mir von Nicolo“, forderte sie ihn sanft auf.
Während sie redeten, verlor Beth jegliches Zeitgefühl. Irgendwann begann sie, Cesario von Sophies Geburt und der Zeit, als das Baby im Brutkasten gelegen hatte, zu erzählen. Und sie sprach über das Kinderheim und ihre Freundschaft mit Mel.
Erst eine kühle Brise, die mit einem Mal über die Ebene strich, erinnerte sie daran, wo sie waren. Überrascht stellte Beth fest, dass die Sonne hinter dunklen Wolken verschwunden war.
„Meinst du, dass es Regen geben wird?“
„Ich fürchte, ja“, entgegnete Cesario und runzelte nach einem Blick auf den Himmel die Stirn.
Schnell packten sie ihre Sachen zusammen. Aber schon eine Minute später ging ein Platzregen auf sie nieder, der ihre Kleidung innerhalb weniger Sekunden durchweicht hatte.
„Komm“, rief Cesario und hob Beth aufs Pferd, um sich dann hinter ihr auf den Sattel zu schwingen. Statt den Pfad nach unten zu nehmen, trieb Cesario das Pferd quer über die Ebene auf ein Wäldchen zu, bis sie an einer Holzhütte angelangten, die halb hinter den Bäumen verborgen lag.
„Geh schon mal rein“, forderte er sie auf. Er musste fast schreien, um den sintflutartigen Regen zu übertönen. Beth brauchte keine weitere Aufforderung. Zitternd ließ sie sich vom Pferd gleiten und lief auf die Hütte zu, während Cesario das Pferd zum angrenzenden Unterstand brachte.
Die Hütte war einfach eingerichtet. Es gab nur ein Zimmer, in dem sich ein Herd, ein Tisch und ein paar Stühle befanden. In der Ecke stand ein altmodisches Eisenbett. Bunte Teppiche und karierte Gardinen an den kleinen Fenstern verliehen dem Inneren der Hütte eine gemütliche
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