Tief in meinem Herzen
Es machte keinen Sinn, etwas sein zu wollen, das sie nie sein würde. Aber zumindest konnte sie dafür sorgen, einigermaßen ordentlich und präsentabel auszusehen. Ein Blick in den Spiegel über dem Kamin bestätigte, dass ihr Haar nicht mehr zu einem adretten Knoten zusammengesteckt war, sondern in unordentlichen Strähnen an ihrem Kopf herabhing. Schnell zog sie die letzten Nadeln aus dem Haar, suchte den Kamm in ihrer Handtasche und kämmte ihr nasses Haar, bis sie mit ihrem Spiegelbild zufrieden war. Dann kniete sie sich wieder auf den Teppich und wechselte Sophies Windel.
Mit schnellen Schritten durchquerte Cesario die Eingangshalle in Richtung Bibliothek. Sein Gesicht war angespannt. Er hatte einen seiner Geschäftsführer gebeten, die Rede für ihn zu halten, um sich in Ruhe mit Beth Granger befassen zu können. Zunächst war er geschockt gewesen, als Beth Granger behauptet hatte, er sei der Vater des kleinen Mädchens – und ungläubig. Schließlich steckte ihre Geschichte voller Ungereimtheiten. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass sie ihm erst einmal ein paar Fragen beantworten musste, bevor er überhaupt ernsthaft über ihre Aussage nachdenken konnte.
Möglicherweise ist sie auch bloß auf mein Geld aus und hat sich diese unglaubliche Geschichte ausgedacht, damit sie mich erpressen kann, dachte er düster. Er hatte Erfahrung mit Betrügern dieser Art. Vor einigen Jahren hatte ein junger Mann behauptet, Orsino Piras sei sein Vater, und dass er damit ein Recht auf sein Erbe habe. Ein DNA-Test hatte ergeben, dass der junge Mann kein Sohn von Cesarios Vater war. Cesario hatte von Anfang an gewusst, dass es sich nur um eine Lüge handeln konnte. Sein Vater war ein kalter, sehr distanzierter Mann. Er interessierte sich nicht für andere Menschen, auch nicht für Frauen. Für ihn gab es nur seine Bank, die seit fünf Generationen im Besitz der Piras-Familie war.
Als Cesario die Tür zur Bibliothek jetzt aufstieß und sein Blick auf die junge Frau fiel, die auf dem Sofa saß und das Baby in ihren Armen wiegte, zögerte er einen Moment. Ohne ihren Mantel wirkte Beth Granger viel schlanker. Sie war fast zu dünn für seinen Geschmack, stellte er amüsiert fest, nachdem sein Blick auf ihre spitzen Schlüsselbeinknochen und die kleinen flachen Brüste gefallen war, die sich unter der engen Bluse abzeichneten.
Ihr grauer Rock und die marineblaue Bluse sahen aus, als stammten sie aus der Kleidersammlung. Die flachen schwarzen Ballerinas waren abgetragen. Trotz ihrer wenig eindrucksvollen Aufmachung strahlte sie eine würdevolle Eleganz aus, die er überraschend anziehend fand. Sie war nicht schön im herkömmlichen Sinne. Aber ihr herzförmiges Gesicht, die leicht gebogene Nase und die vollen Lippen verliehen ihr durchaus etwas Charmantes. Jetzt, wo sie ihr langes Haar offen trug, sah er, dass es goldbraun war und im Licht des Kronleuchters wie Seide schimmerte.
Ein wenig erstaunt ertappte er sich bei der Vorstellung, mit der Hand durch ihr Haar zu fahren und die seidigen Strähnen auf seiner Haut zu spüren. Sofort unterdrückte er den Gedanken und machte entschlossen die Tür hinter sich zu. Der nervöse Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, war ihm nicht entgangen. Für einen Moment war er wie hypnotisiert gewesen von ihren lebhaften grünen Augen. Dann hatte sie sich wieder dem Baby zugewandt, dem sie gerade die Flasche gab.
Bilder aus der Vergangenheit kamen ihm in den Sinn. Er erinnerte sich, wie er im Kinderzimmer gestanden und Raffaella dabei beobachtet hatte, wie sie Nicolo fütterte. Die Liebe für ihren gemeinsamen Sohn war das Einzige gewesen, was sie beide verband.
Für Cesario hatte die Ehe mit Raffaella Cossu lediglich die Fusion der Piras- und der Cossu-Bank sichergestellt. Und ihn damit zu einem der mächtigsten Männer Italiens gemacht. Eine Zweckheirat war ihm angesichts dieser Karrieremöglichkeiten als kein allzu großer Preis erschienen. Er hatte Raffaella gemocht, und seine Erfahrungen hatten ihn gelehrt, dass Liebe nichts weiter war als etwas, das bloß zu Schmerzen und Enttäuschung führte.
Er hatte seine Mutter als Kind sehr geliebt. Doch als er sieben Jahre alt gewesen war, hatte sie seinen Vater für ihren Liebhaber verlassen. Cesario hatte sie nie wiedergesehen.
„Hör auf zu weinen. Du bist doch kein Baby mehr“, hatte sein Vater ihn zurechtgewiesen, als er damals den kleinen Cesario schluchzend in seinem Zimmer gefunden hatte. „Eine Frau ist es nicht wert, dass
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