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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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mussten nur ein bisschen mit dem Gleichgewicht spielen.«
    Whitaker betrachtete die Fotografie nickend.
    »Also etwas ganz anderes als die Sache hier«, bemerkte er.
    »Ja, völlig anders. Keine Übereinstimmungen.«
    »Warum wolltest du dann unbedingt diese Akte haben?«
    Roddy blätterte durch die alten Notizen, Statistiken, Grafiken, Kopien von Artikeln, Fotos und Zeichnungen. Er runzelte die Stirn, als er einen Umschlag herauszog. Prüfend betrachtete er die handgeschriebene Adresse, dann zog er den Brief heraus, der im Umschlag steckte.
    Liebster Roddy,
    es fällt mir schwer, dir diesen Brief zu schreiben, aber schreiben muss ich ihn …
    Whitaker, der Roddy beobachtete, sah, wie Verwunderung und etwas wie Trauer über sein Gesicht huschte.
    »Und?«, fragte er nach langem Schweigen.
    Schon wieder, dachte Roddy. Die zweite Erinnerung an sie innerhalb eines Tages, und dieses Mal sogar der verdammte Brief, in dem sie mir mitteilt, dass sie mich verlässt. Er schüttelte den Kopf.
    »Nur ein alter Brief, nicht das, wonach ich gesucht habe.«
    Er steckte den Brief in die hintere Tasche seiner Hose. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit erneut der Akte zu und zog ein paar Schwarz-Weiß-Fotos heraus, die mit einem Gummi zusammengehalten wurden. Rasch schaute er sie durch, bis er fand, was er suchte. Dann stand er auf, legte seinem Assistenten den Arm um die Schultern und lächelte, als habe er einen Witz gemacht.
    »Ich möchte dir einen alten Freund von mir vorstellen.«
    »Wen denn?«, fragte Whitaker und sah sich um.
    Roddy führte ihn zu dem Wal.
    »Whitaker, das ist Blackfin. Blackfin, das ist Whitaker.«
    Whitaker zog ungläubig die Augenbrauen hoch. Roddy reichte ihm das Foto. Es war die Nahaufnahme der Rückenflosse eines Pottwals. Der Rücken war an dieser Stelle mit einem unregelmäßig geformten schwarzen Mal bedeckt, das exakt so aussah wie das Mal des Pottwals vor ihnen.
    »Al-ter!«
    *  *  *
    »Oh«, sagte Roddy abrupt, als der Fernsehproduzent ihn zu der jungen Journalistin führte, die ihn vor ein paar Stunden so geärgert hatte. »Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll.«
    »Hey, so schlimm bin ich nicht«, erwiderte die Frau lächelnd. »Wo liegt das Problem?«
    Du schreist, wenn ich darum bitte, es nicht zu tun, du ignorierst vernünftige Aufforderungen, und du siehst der Frau ähnlich, die mir das Herz gebrochen hat, dachte Roddy.
    »Sie haben meinen Wal unnötigem Stress ausgesetzt.«
    Dein Wal, dachte Kate Gunning, die Journalistin, aber sie nickte versöhnlich und hob die Hand. »Das tut mir leid, aber wir waren den ganzen Tag über hier, und Sie haben nicht ein einziges Mal das Wort an uns gerichtet. Sehen Sie, die Leute interessieren sich für diese prachtvollen Tiere, sie wollen wissen, wie der Wal hierherkommt, und sie haben überhaupt keine Ahnung. Es ist doch kein Wunder, dass sie frustriert sind.«
    »Ja, schon gut«, erwiderte er ziemlich unwirsch. Er wusste ja, dass sie recht hatte.
    Er sagte nichts weiter, machte aber auch nicht den Eindruck, sich aus dem Interview zurückziehen zu wollen. Der sichtlich erleichterte Produzent nahm ihn beiseite, um ihn kurz einzuweisen. Kate blickte stirnrunzelnd auf ihre Notizen. Vielleicht hat er recht, dachte sie, vielleicht hätte ich nicht so schreien dürfen. Aber wie sonst hätte ich ihn auf mich aufmerksam machen sollen?
    Kate liebte ihren Job. In einer Zeit, in der man normalerweise ein Hochschulstudium vorweisen musste, um wenigstens in der Kantine einer kleinen Tageszeitung arbeiten zu können, war sie ihren Weg noch nach alter Art gegangen. Seit sie sechzehn war, hatte sie sämtliche Redakteure im Land belästigt; sieben Monate lang hatte sie drei Ideen pro Tag an verschiedene Zeitungen geschickt, bis endlich der erste Artikel angenommen wurde. Sie besaß alle Qualitäten eines investigativen Journalisten, einschließlich der Fähigkeit, niemals aufzugeben und sich für nichts zu schade zu sein; und als sie mit zwanzig ihren ersten großen Durchbruch gehabt hatte – beim London Evening Standard  –, war ihr Aufstieg nicht mehr aufzuhalten gewesen. Innerhalb von zwei Jahren, in denen die Headhunter sie verfolgten, gehörte sie nicht nur zur Redaktion einer großen Sonntagszeitung, sondern machte auch eine wöchentliche Sendung für ein regionales Nachrichtenprogramm, die South Coast News.
    Ihr glühendster Wunsch war es, wie Carl Bernstein und andere große Journalisten in die Geschichte einzugehen; sie wollte Licht in

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