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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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verborgene, schreckliche Geheimnisse bringen und ihren glorreichen Beitrag zum investigativen Journalismus leisten. Ihr einziger Fehler waren ihre Jugend und ihr Ehrgeiz. Für gewöhnlich traf sie bei Leuten, die es verdient hatten, bloßgestellt zu werden, mitten ins Schwarze, aber manchmal waren die Kollateralschäden zu groß, und auch Unschuldige mussten daran glauben. Sie musste noch lernen, ausgewogener zu agieren. Die Sache in Brighton jetzt gefiel ihr. Es war eine gute Gelegenheit, sich zu profilieren. Ein gestrandeter Wal ist zwar nicht Watergate, dachte sie, aber wenn ich mit der Story richtig umgehe, kommt mein Gesicht vielleicht in die Zehn-Uhr-Nachrichten.
    Das Interview wurde live übertragen. Neben Kate sah Roddy in seinen durchnässten Klamotten und mit den feucht an der Stirn klebenden Haaren furchtbar aus; und am Ende des Interviews vermittelte nicht nur seine äußere Erscheinung diesen Eindruck.
    Auf Kates hoffnungsvolle Frage, ob es sich um einen Selbstmordversuch des Wals handeln könne, antwortete er mit einem deutlichen Nein. »Sehr kranke Wale lassen sich manchmal an die Küste treiben, um zu sterben, aber dieser Wal ist nicht krank, sein Gesundheitszustand ist hervorragend.«
    In ihrer zweiten Frage schwang mit, dass die wissenschaftlichen Prozeduren, die er dem Wal zumutete, grausam und zwecklos sein könnten – und das ärgerte ihn. Er hörte selbst, wie gereizt seine Stimme klang, als er sagte, die Tests seien »äußerst wichtig, um das Stranden von Walen zu verstehen und damit zu verhindern«.
    »Aber ist es nicht viel wichtiger, dieses Tier so schnell wie möglich wieder zurück ins Wasser zu bekommen?«, fragte sie herausfordernd.
    »Keineswegs. Am wichtigsten ist es, seine Überlebenschancen zu maximieren, und das gelingt am besten, indem man den Stress-Level auf ein Minimum begrenzt. Aber das gelingt natürlich nicht«, fügte er vorwurfsvoll hinzu, »wenn die Leute hemmungslos schreien.« Als sie überrascht schwieg, versuchte er, das Gespräch in eine günstigere Richtung zu lenken. »Ich will es einmal so darstellen: Dieser Fall ist deshalb interessant, weil erstens ein Wal hier liegt, weil er zweitens durch das flache Wasser der Straße von Dover geschwommen ist, weil er drittens auf eine ganz und gar ungewöhnliche Art gestrandet ist und weil es viertens praktisch unmöglich ist, ein so riesiges Geschöpf wieder zurück ins Wasser zu befördern.«
    »Aber Dr. Ormond, wollen Sie wirklich behaupten, es sei akzeptabel, dieses prachtvolle Tier buchstäblich gefangen zu halten?«
    »Niemand hält den Wal gefangen, das ist kompletter –«
    »Warum kann er dann nicht direkt wieder ins –«
    »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
    »– ins Meer zurück, in die Welt, die er kennt?«
    »Der Grund dafür ist –«
    »Warum haben Sie denn die Flut nicht genutzt, sondern den Wal dazu verdammt, eine für ihn unnötige und schreckliche Nacht am Strand zu verbringen?«
    »Meine Entscheidungen basieren auf den Bedürfnissen des Tiers und auf der üblichen wissenschaftlichen Vorgehensweise.«
    »Vielen Dank, Dr. Ormond. Das war Kate Gunning aus Brighton Beach mit der zunehmenden Kontroverse über einen prachtvollen Gast aus der Tiefsee. Zurück ins Studio zu Gordon.«
    »Was für eine Kontroverse?«, fragte Roddy. »Es gibt keine Kontroverse.«
    Kate zuckte lächelnd mit den Schultern und wandte sich an ihren Produzenten. Whitaker legte Roddy die Hand auf den Arm und zog ihn weg. Verflucht, dachte er, während er durch den Kies stapfte; ich bin einfach von Natur aus allergisch gegen Journalisten.
    »Das lief doch super«, sagte Whitaker.
    *  *  *
    Ally und ihr Freund Dave lebten in einem besetzten Haus in Worthing, ein paar Kilometer von Brighton Beach entfernt. Dave war ein weiterer Aspekt in Allys Leben, von dem ihr Vater nichts wusste. Am späten Nachmittag kam sie nach Hause, psychisch erschöpft von der Begegnung in London. Sie sehnte sich nach einem heißen Bad, denn schmutzig aussehen lag ihr eigentlich gar nicht; sie wollte Toast und Marmelade und all das tröstliche Essen ihrer Kindheit; sie hätte am liebsten ihre Mutter angerufen, aber wegen der Einstellung ihrer Mutter zu Dave hatten sie vor ein paar Monaten den Kontakt abgebrochen; und am allermeisten wünschte sie sich, an Daves Schulter in Tränen ausbrechen zu können. Er hatte gesagt, er würde zu Hause sein, deshalb war sie bitter enttäuscht, als sie feststellte, dass er nicht da war. Er war nicht zum ersten Mal

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