Tief
weg, ohne dass sie wusste, wo er sich aufhielt. Sie setzte sich aufs Sofa – das sie aus dem Sperrmüll gerettet hatten – und fragte sich, was sie mit sich anfangen sollte.
Sie hatte Dave vor einem Jahr kennengelernt, noch während ihres Studiums in Oxford. Eines Samstagnachmittags hatte sie auf dem Weg zur Buchhandlung Blackwell einen Stand mit heruntergekommen aussehenden Typen bemerkt, die alle Doc Martens und schmierige, formlose Klamotten trugen; als sie mit Büchern im Wert von achtzig Pfund wieder aus dem Laden herausgekommen war, hatte sie einer von ihnen angesprochen. Sein schäbiges Äußeres verbarg nicht, dass er ungewöhnlich gut aussah.
»Willst du unsere Petition unterschreiben?«
»Worum geht es denn da?«
»Um Konsumverhalten und die katastrophalen Auswirkungen von Flughafenerweiterungen auf die Umwelt.«
»Na gut.«
Sie war neunzehn und konnte von den fünfzigtausend Pfund, die ihr Vater ihr jährlich zukommen ließ, ganz hervorragend leben; sie besaß einen Mercedes SLK 230 und einen Sunbeam Alpine; sie war in ihrem kurzen Leben häufiger geflogen als mit dem Bus gefahren. Aber sie unterschrieb die Petition und protestierte damit gegen die Zerstörung der Umwelt durch eine rücksichtslos expandierende Flugbranche.
Er beschrieb sich selbst als Ökoterrorist. Fünfzehn Jahre älter als sie, hatte er schon an den Protesten auf dem Manchester Airport, in Twyford Down und der Birmingham Relief Road teilgenommen. Er hatte Tunnel unter der Erde gegraben, auf Bäumen geschlafen, sich an Bulldozer gekettet und war von Sicherheitsbeamten zusammengeschlagen worden. Sie gingen einen Kaffee trinken, und er hielt leidenschaftliche Vorträge gegen Globalisierung, Missachtung der Menschenrechte durch Konzerne, die Ausbeutung der Dritten Welt, die Auswüchse des Konsumverhaltens und die Zunahme von Umweltschäden durch unhaltbares wirtschaftliches Wachstum.
»Aber wovon lebst du?«, hatte Ally gefragt.
»Von der Sozialhilfe.«
»Und warum soll die Gesellschaft die Kosten für deine Existenz übernehmen?«, fragte sie, weil ihr diese Einstellung sehr heuchlerisch vorkam. »Das ist doch den anderen gegenüber nicht fair.«
»Ich koste die Gesellschaft fünfundvierzig Pfund pro Woche, und ich lebe auf eine umweltfreundliche, sozial ausgeglichene, kohlenstoffneutrale Art. Ich glaube, ich bin mein Geld wert.«
Dann beugte er sich vor und ergriff ihre Hand, um den Ring zu betrachten, den sie am Mittelfinger trug.
»Ein Diamant?«
»Ja.«
»Wie viel hat er gekostet?«
»Das willst du nicht wissen. Und ich will es dir nicht sagen.«
»Weißt du irgendwas über die Arbeitsbedingungen und den Lohn der Arbeiter in den Diamantminen in Südafrika?«
»Eigentlich nicht.«
»Warum leben so viele Menschen auf dieser Welt wie Tiere, um den riesengroßen Preis für deine Existenz zu zahlen?«
Nach zwei Wochen waren sie ein Paar. Ein paar Monate später hatte sie ihn ihrer Mutter vorgestellt, als Test sozusagen, weil sie fand, dass ihre Familie ihn kennenlernen sollte. Das Treffen war eine solche Katastrophe gewesen – Theresa war ganz offensichtlich entsetzt über den schmuddeligen Tunichtgut, der ihr präsentiert wurde –, dass Ally seitdem nicht mehr mit ihrer Mutter gesprochen hatte. Sie wollte sich ihren Vorurteilen nicht aussetzen, und sie begriff nicht, dass Theresa eigentlich nur versuchte, sie vor der Wut ihres Vaters zu schützen.
Im Wohnzimmer des besetzten Hauses stand Ally vom Sofa auf und wanderte durch das einstöckige Reihenhaus, das so anders war als der Luxus, den sie von zu Hause gewöhnt gewesen war. In der Küche standen fünf Recycling-Behälter: einer für Küchenabfälle, einer für Papier, einer für Glas, einer für Metall und einer für Plastik. Statt einer Zentralheizung trugen sie mehrere Kleidungsschichten übereinander, schliefen auf einem selbst gemachten Bett aus Paletten und liebten sich zum Duft von Räucherstäbchen. Auf die Wände des Badezimmers hatte Dave ein Zitat aus seiner »Bibel« gepinselt, Die Rückkehr zum menschlichen Maß, E. F. Schumachers Aufruf zur realen Ökonomie.
… da Konsum nur ein Mittel zum menschlichen Wohlbefinden ist, sollte das Ziel sein, ein Maximum an Wohlbefinden mit einem Minimum an Konsum zu erreichen …
Darunter hatte Dave sein eigenes Postskript gesetzt:
… statt ein Maximum an Konsum mit einem Minimum an Wohlbefinden.
Ally stimmte mit Daves Umweltfundamentalismus nicht in allen Punkten überein. Sie hatte das sichere Gefühl,
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