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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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Reise überlebe, dann werde ich es als Zeichen betrachten, dass Gott mir noch eine letzte Chance gibt. Ich werde mein Leben ändern. Ich werde aufhören zu trinken – schließlich liegt darin mein ganzes Elend begründet – und meine Würde zurückgewinnen. Ich werde mich voller Sorgfalt um meinen Beruf kümmern, bis ich wieder ein erstklassiger Skipper bin, der moderne Schiffe, legale Frachten und saubere, gut bezahlte amerikanische Mannschaften führt … Kapitän Isaksson setzte sich auf. Seine Zukunftspläne beflügelten ihn. Er zog einen Kamm aus der hinteren Hosentasche und kämmte sich die lichten Haare.
    Der Erste Offizier, der Steuermann und der Ausgucker – ein Italiener und zwei Bangladescher – waren im Steuerhaus auf der Brücke. Der Italiener schämte sich, mit den beiden Bangladeschern in einen Topf geworfen zu werden: Sie hatten keine Stiefel, keine warmen Kleider, nichts! Auf dem Atlantik waren es unter null Grad, und sie trugen Plastiktüten an den Füßen, in die sie Zeitungspapier gestopft hatten! Was für ein Schiff! Nie wieder!
    »Nichts zu sehen«, sagte der Ausguck und reichte das Fernglas weiter. »Alle weg.«
    Seit über einer Stunde hatte ein Konvoi von Walen die Vegas begleitet. So etwas hatte der Erste Offizier noch nie gesehen; zuerst Dutzende, dann Hunderte von Walen, die neben und vor dem Schiff herschwammen. Es war ein unterhaltsamer Anblick gewesen. Selbst die Mannschaftsmitglieder, die frei hatten, hatten sich am Bug versammelt, um den Tieren zuzuschauen. Aber jetzt war die Show offensichtlich vorbei. In den vergangenen zwanzig Minuten waren es immer weniger geworden, und jetzt schienen die letzten Wale verschwunden zu sein.
    Als der Erste Offizier das Meer weiter mit dem Fernglas absuchte, tippte ihm der Steuermann auf die Schulter und zeigte auf das Deck des Schiffs hinunter. Ein weiterer Bangladescher rannte auf sie zu. Der Erste Offizier verzog amüsiert das Gesicht. Wer war das? Khalil? Was tat der Irre da?
    Khalil blieb stehen und winkte ihnen hektisch zu. Als die drei auf der Brücke nicht reagierten, rannte er wieder los, was an Deck den reinsten Hindernislauf bedeutete, weil überall verrostete Rohre und Schläuche herumlagen.
    Dem Ersten Offizier blieb nichts anderes übrig, als auf Khalil zu warten. Er konnte ja schlecht die Brücke verlassen, um ihm entgegenzugehen, und anscheinend war der Mann zu blöd, um das Telefon am Bug zu benutzen. Er rief den Zweiten Offizier an, weckte ihn aus einem erschöpften Schlummer und sagte ihm, er solle sofort auf die Brücke kommen. Dann wartete er. Es dauerte noch etwa zwei Minuten, bis Khalil die hundertfünfzig Meter Deck hinter sich gebracht hatte und den Aufbau zur Brücke hinaufgeklettert war. Er kam ins Ruderhaus gestürmt und rang keuchend nach Luft. Speichel tropfte von seiner Unterlippe auf die zerrissene Plastiktüte an seinem linken Fuß.
    »Kommen Sie, Sir! Wale!«, stieß er atemlos hervor. »Diese bösen Wale, Sir! Kommen Sie!«
    *  *  *
    In der Kapitänskajüte manifestierte sich die Konsequenz einer schlechten Entscheidung. Der Kapitän hatte beschlossen, sich das Video von der Hochzeit seiner Tochter noch einmal anzusehen. Er hatte an der Trauung nicht teilnehmen können – Eheprobleme, geistige Erschöpfung und ein dreitägiges Saufgelage hatten dafür gesorgt –, und jetzt hatte er seine Tochter seit fast fünf Jahren nicht mehr gesehen.
    Als das Telefon neben seiner Koje klingelte, schritt seine Tochter gerade den Gang entlang, der Kapitän weinte, und die Flasche Wodka, die neben dem Telefon stand, war zu drei Vierteln leer.
    »Ja, was ist? … Ich habe zu tun! … Ich weiß bereits über die Wale Bescheid … Nein! Ja! Verdammt!«
    Was sonst noch, dachte Kapitän Isaksson, was kommt als Nächstes? Angestrengt konzentrierte er sich auf die schwierige Aufgabe, seine Stiefel anzuziehen.
    *  *  *
    Zwölfhundert Meilen südlich der Vegas , am Rand der Biskaya, kam es ebenfalls zu einer seltsamen Konstellation von Walen und Alkohol. Die Alyson stampfte gemächlich durch eine ruhige See. Das Schiff war eine Swan 41, eine schlanke, elegante Yacht, die über Aussehen und Geschwindigkeit eines Rennboots verfügte, aber so bequem ausgestattet und eingerichtet war wie ein Kreuzfahrtschiff. Ihre Crew, Rupert und Ian, waren schon immer zusammen gesegelt. Es hatte in ihrer Schulzeit in Marlboro mit Jollen-Rennen begonnen, und als sie dann später studiert und ihre Berufe ausgeübt hatten – Rupert als

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