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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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sofort verstummten, und in dem verlegenen Schweigen, das einsetzte, hatte Roddy Mitleid mit ihm. Er ist verflucht, dachte er, er kann einfach nichts richtig machen.
    Die beiden Peter murmelten etwas über einen langen Tag und dass sie früh aufstehen müssten. Die Gruppe brach auf.
    »Wie fandest du den Typ?«, fragte Roddy Theresa, als sie zu ihrem Zeltlager zurückgingen.
    »Merkwürdig. Interessant. Er hat Augen wie ein Gott. Und ich fand, du warst sehr gemein.«
    »Ich?«
    »Weil du so gelacht hast.«
    »Ich konnte nichts dafür.«
    »Ich auch nicht.«
    Erneut lachten sie beide.
    Von diesem Tag an suchte Rattigan ihre Nähe. Sie versuchten, nett zu ihm zu sein. Wenn man mit ihm allein war, war er leichter zu nehmen, weil er sich dann freier fühlte und voller origineller Ideen und Argumente steckte. Er schien besessen davon zu sein, als Geschäftsmann großen Reichtum anzuhäufen und dann »etwas Nützliches damit zu tun«. Was genau er damit meinte, sagte er allerdings nie.
    »Warum studierst du eigentlich Geologie?«, hatte Theresa ihn einmal gefragt.
    »Steine.«
    Theresa hatte immer weiter gebohrt, bis Rattigan, der Probleme hatte, sich zu artikulieren, ihr eine Antwort gab, mit der sie etwas anfangen konnte.
    »Steine sind einfach nur Steine. Sie waren zuerst da. Verstehst du?«
    »Ich weiß nicht … Vielleicht. Na ja, nicht so ganz. Ich …«
    »Die Existenz von Steinen kann niemand leugnen. Das ist alles.«
    An jenem Abend kehrte Roddy in großer Erregung von einem einsamen Spaziergang auf den nördlichen Klippen der Insel zurück. Er hatte gerade die Aussicht bewundert, als er einen dunklen Umriss im Wasser gesehen hatte, kaum hundert Meter entfernt. Seine Begeisterung, als er durch sein Fernglas geblickt und einen blasenden Wal erkannt hatte, war kaum zu beschreiben, aber er beschrieb sie trotzdem immer und immer wieder, bis Theresa ihn lachend umarmte.
    »Ich habe so etwas noch nie gesehen!«, rief er, die Wange in ihr Haar gedrückt.
    »Ich weiß! Das hast du schon mal gesagt.«
    »Er machte einen Buckel, sein Schwanz ragte in die Luft – du hättest ihn sehen sollen, er war gewaltig –, und dann verschwand er wieder, aber das Wasser kräuselte sich kaum.«
    »Wow!«
    Roddy stellte extravagante Behauptungen über seine zukünftige Karriere auf: Er würde seinen Master in Meeresbiologie machen, seine Doktorarbeit schreiben – definitiv etwas über Wale – und eine Autorität auf diesem Gebiet werden.
    »Aber letzte Woche wolltest du dich doch noch auf Molekularbiologie spezialisieren, und einen Monat vorher wolltest du aus Gründen, die ich vergessen habe, für ein pharmazeutisches Unternehmen arbeiten – und überhaupt, wie willst du das alles schaffen? Du tust ja überhaupt nichts für dein Studium!«
    »Nein, nein, jetzt habe ich das Richtige gefunden. Der Wal hat alles verändert.«
    Als er sich ein bisschen beruhigt hatte, sagte Theresa: »Ich habe heute auch ein großes, geheimnisvolles Tier gesehen.«
    »Was denn für eins?«
    »Fünf Grad ist vorbeigekommen.«
    »Ach ja? Na, der weiß ganz sicher, was er vom Leben erwartet.«
    »Ja, und es ist erstaunlich, wie er bereits darauf hinarbeitet. Vielleicht hat das ja was mit seinem Hintergrund zu tun. Wusstest du, dass er im Waisenhaus aufgewachsen ist? Er scheint sich dafür zu schämen. Ich habe ihm gesagt, ich fände es eigentlich ziemlich extravagant.«
    »Und wie hat er darauf reagiert?«
    »Ganz gefühlig. Er wurde rot und räusperte sich. Fast hätte er angefangen zu weinen, und er hat mich auf die Wange geküsst.«
    »Irre.«
    »Und dann hat er mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehe.«
    »Was?«
    »Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass ich bereits vergeben bin.«
    »Wie hat er es aufgenommen?«
    »Nicht sehr gut. Er ist davongestürmt.«
    »Ach du lieber Himmel.«
    »Weißt du, seine Augen sind wie die von einem Tier. Einem Tier, das so oft in schrecklicher Gefahr war, dass es nun sicher ist zu überleben. Und das trotzdem … ich weiß nicht … zutiefst verängstigt ist.«
    Den Rest der Woche schwankte Rattigan zwischen aufgebrachter Empörung und sklavischer Ergebenheit. Theresa ging ein paarmal mit ihm spazieren und berichtete Roddy jedes Mal von einer neuen Besonderheit seines Charakters.
    Am letzten Tag sagte Rattigan ihr, dass er sie liebte. Je entschiedener sie ihm sagte, er solle aufhören, desto hartnäckiger wurde er. Dabei sah er sie aus seinen intensiven Augen unverwandt an. Schließlich verlor sie die Geduld mit ihm, stieß

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