Tief
übertrieben, als er den Freiwilligen gesagt hatte, wie schwer es sein würde. Innerhalb kürzester Zeit rangen sie alle keuchend nach Luft. Es war ein surrealer Anblick, wie Blackfin von rechts nach links, von links nach rechts schaukelte. Das Meer bedeckte mittlerweile die Schwanzflosse des Tiers, und Roddy ließ die Pumpen mit dem Spülmittel anstellen. Die beiden Männer pumpten achthundert Liter der Flüssigkeit auf den Kies vor dem Wal, und dann kam der kritische Punkt ihrer Aufgabe: Die Freiwilligen mussten den Wal kräftiger zur Seite schaukeln, damit sie das Spülmittel unter ihn pumpen konnten, zuerst auf der einen Seite, dann auf der anderen. Ein Mädchen rutschte aus, rappelte sich aber schnell wieder auf, gefolgt von einem zweiten. O Gott, das ist so riskant, schoss es Roddy durch den Kopf, es könnte wirklich jemand verletzt werden … Aber das Ereignis lief jetzt wie von selbst ab, und die Freiwilligen hätten auf keinen Fall mehr aufgehört. In zwei Minuten war die Flut auf dem Höchststand. Blackfins Position hatte sich bereits verändert, und schließlich glitt er langsam den Abhang hinunter und rutschte ins Meer. Vor seinem inneren Auge sah Roddy ein glänzendes neugeborenes Kalb aus der erschöpften Mutter herausgleiten. Die Menge brach in Jubelschreie aus, die Presseleute durchbrachen die Absperrung und kamen angerannt, die Freiwilligen fielen einander in die Arme und stolperten über den Kies hinter dem Wal her, der sich vom Land abwandte und langsam durchs Wasser glitt.
* * *
Nachdem die Polizei Roddy aus den Fängen der Presse gerettet hatte, blickte er Blackfin einige Minuten lang hinterher, bis das Tier verschwunden war. Dann ging er langsam den Strand hinauf; er hatte eingewilligt, Interviews zu geben, und die Journalisten, die wieder hinter die Absperrung zurückgedrängt worden waren, bestürmten ihn mit Fragen.
»Äh, Entschuldigung – herzlichen Glückwunsch.«
Es war das Mädchen, das ihm schon bei den Freiwilligen aufgefallen war.
»Oh, danke. Auch Ihnen herzlichen Glückwunsch.«
»Es war wundervoll.«
Sie ging neben ihm her, und er musterte sie. Es klang, als wolle er sie anmachen, aber …
»Kenne ich Sie irgendwoher?«
»Mich? Ich glaube nicht.«
»Sie haben nicht bei mir studiert oder so etwas?«
»Nein.«
»Darf ich nach Ihrem Namen fragen?«
»Ally Rattigan.«
Er blieb abrupt stehen … Natürlich, diese Augen. Genau wie die Augen ihres Vaters. Gütiger Himmel.
»Und, kennen Sie mich?«, fragte sie und warf ihm einen unbehaglichen Blick zu.
»Ich kannte Ihre Mutter.«
»Meine Mutter?« Die Presseleute waren mittlerweile fast außer sich vor Aufregung, aber Roddy beachtete sie nicht. »Woher kannten Sie denn meine Mutter? Haben Sie sie gut gekannt?«
Ob ich sie gut gekannt habe …
Er lächelte, antwortete aber nicht; er dachte an einen besonderen Ort und eine besondere Zeit. Das war alles schon so lange her …
Er war neunzehn Jahre alt. Er lag auf dem Hügel von Dun Caan, auf der kleinen Hebriden-Insel Raasay. Es war einer jener seltenen Tage auf den Hebriden, an denen das Wetter alles richtig machte: Die Sonne strahlte vom Himmel, und eine leichte Brise hielt die Mücken fern. Roddy, der mit dem Kopf auf seinem zusammengerollten Jackett lag, schloss die Augen und genoss die Wärme der Sonne auf den Augenlidern. Neben ihm lag seine Freundin Theresa. Durch ihre langen Haare, die braun und ganz glatt waren, wehte der Wind, bis sie sich aufsetzte und sie im Nacken zusammenband. Sie hatte ein hübsches Gesicht, helle, aufrichtige Augen und schöne Haut. Im Osten, hinter dem funkelnden Sound of Sleat, lag das schottische Festland; im Westen die Insel Skye mit ihrem violetten Hut, dem von Heidekraut bedeckten Cuillin-Gebirgszug.
Sie studierten Biologie an der Warwick University und waren auf einer zweiwöchigen Exkursion. Mit zwanzig anderen Studenten campierten sie auf einer Farm. Sie arbeiteten den ganzen Tag draußen im Gelände, tranken den ganzen Abend in Raasays einzigem Pub und liebten sich anschließend die halbe Nacht in der Enge eines Anderthalb-Personen-Zelts. In diesen Nächten, wenn er ihren schlanken Körper an seinem spürte, das Gewicht ihres Kopfs auf seiner Brust, wachte er manchmal von einem Übermaß an Zufriedenheit auf.
In der zweiten Woche ihrer Exkursion traf eine weitere Studentengruppe auf Raasay ein, Geologen aus Oxford. Die beiden Gruppen lernten sich im Pub kennen. Roddy und Theresa spielten Domino mit drei witzigen,
Weitere Kostenlose Bücher