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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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ihn weg und sagte ihm, er solle sie in Ruhe lassen. Später lachten Roddy und sie darüber, bis ihnen der Bauch wehtat, auch wenn sie sich dabei besonders grausam vorkamen. Am nächsten Morgen reisten sie ab, ohne sich von ihm zu verabschieden.
    In Warwick nahmen sie ihr altes Leben wieder auf. Eines Tages sagte Theresa: »Du errätst es nie – ich habe einen Brief von Fünf Grad Rattigan bekommen. Er hat sein Examen mit Glanz und Gloria bestanden und hat jetzt einen Job in einem Ölförderungsunternehmen.« Von da an schrieb er regelmäßig, einen Brief pro Woche, und mit der Zeit gewöhnte sie sich daran. Ein paar Monate später sagte sie: »Fünf Grad hat geschrieben, er hat am Montag in Warwick zu tun. Wir sind zum Mittagessen verabredet. Willst du mitkommen?«
    Rattigan war geduldig. Vom Anfang bis zum Ende dauerte der Vorgang drei Jahre. Zu keiner Zeit merkte Roddy, der von seinen meeresbiologischen Studien besessen war, was geschah. Als er für einige Monate zur Feldforschung nach Kanada fuhr, erhöhte Rattigan das Tempo und den Druck seiner Aufmerksamkeiten. Gegen Ende der Exkursion erhielt Roddy den Brief.
    Liebster Roddy,
    es fällt mir schwer, dir diesen Brief zu schreiben, aber schreiben muss ich ihn doch. Ich weiß nicht, wie ich es dir so beibringen soll, dass es dir weniger wehtut, deshalb sage ich es lieber frei heraus. Roddy, es tut mir leid. Ich möchte unsere Beziehung beenden. Ich habe Gefühle für Tony entwickelt …
    Tony, hatte Roddy gedacht. Wer ist Tony?
    Zu spät wurde ihm klar, dass sie sich auseinandergelebt hatten, weil alles viel zu selbstverständlich war – aber trotzdem konnte er nicht verstehen, warum sie sich gerade in Fünf Grad Rattigan verliebt hatte. Zu Hause in England folgten lange, tränenreiche Abende, an denen sie behauptete, genauso überrascht wie alle anderen zu sein. Letztendlich empfände sie jedoch mehr für Tony als für Roddy.
    Sie bat ihn, ihr Freund zu bleiben, aber das konnte er nicht. Es war nicht so, dass er es nicht wollte, aber er fühlte sich zerbrochen und allein, und er konnte nur darüber hinwegkommen, wenn er alle Verbindungen abbrach. Ein Jahr nach ihrem letzten Treffen hörte er, dass sie geheiratet hatte.
    Er fand eine neue Freundin. Dann eine andere. Mit einer Frau zog er sogar für drei Jahre zusammen. Sie trennten sich, weil er sie nicht heiraten wollte. Die nächste Freundin wurde schwanger, und er war ganz aufgeregt. Sie hatte eine Fehlgeburt, und er stellte fest, dass er froh darüber war. Bald darauf beschuldigte sie ihn, nicht liebevoll genug und distanziert, ja sogar arrogant zu sein, und verließ ihn. Das war die letzte ernsthafte Beziehung, die er gehabt hatte.

7
    Blackfin schwimmt an der Oberfläche und setzt in kurzen Intervallen mit einem stetigen Klicken sein Echolot ein. In diesem stinkenden Meeresstreifen, dem Englischen Kanal, fühlt er sich noch nicht zu Hause. Das Meer ist hier nur sechzig Meter tief, schlammig, voller gesunkener Boote, einem Gewirr von Netzen und Abfall. Aber der widerwärtige Gestank ist nicht der Grund, warum er sich nach Tiefe sehnt; das Wasser hier ist zu flach für Kommunikation über große Entfernungen. In tausend Meter Tiefe kann er seine Signale mit fünffacher Schallgeschwindigkeit aussenden, und dann kann er auch die Signale anderer Pottwale empfangen, die Tausende von Meilen entfernt sind.
    Er schwimmt stetig. Zwei oder drei Sportboote folgen ihm, aber er nimmt sie kaum wahr. Er will rasch in die Tiefsee und Nahrung aufnehmen. Und er will das Ergebnis seiner einsamen Mission allen Pottwalen im Ozean mitteilen. Und dann wird er wieder in dieses flache, schmutzige Meer schwimmen und an derselben Stelle noch einmal stranden. Die Menschen zu verblüffen, ist seine einzige Chance, sie zum Nachdenken zu bringen.
    Etwas verwirrt ihn, während er nach Südwesten in den breiter werdenden Kanal hineinschwimmt. Die Schaulustigen klatschen jubelnd in die Hände, wenn seine riesige Schwanzflosse hoch in die Luft steigt und sein Körper vertikal nach unten sinkt.
    Erstaunt registriert er die Signale, die er auf dem schlammigen Meeresboden empfängt – in diesem flachen Meer gibt es noch andere Pottwale. Ihre in komplexen Codas angeordneten Klicklaute übermitteln die bedeutsamen Nachrichten: Der Mensch hat das Meer erneut verschmutzt; das Schlimmhelle breitet sich aus, und die Wale sind bereit, am Ufer der Menschenwelt zu sterben, so wie Blackfin dazu bereit war.
    Blackfin jubelt innerlich. Er schickt einen

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