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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Schulter, als er begriff, daß du der Marine nicht mehr angehörtest. Es gab keinen Auftrag, sie wußten ebensowenig wie ich selbst oder mein Vater, wo du dich aufhieltest. Was meinst du, wie sich das anfühlte? Erst verlor ich mein Kind, und dann erfuhr ich, daß ich mit einem Mann verheiratet war, der nicht existierte. Was meinst du, wie sich das anfühlte?«
    Er antwortete nicht. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg. Es muß Welander gewesen sein, dachte er. Es gibt keine andere Möglichkeit. Er ahnte vielleicht, daß wie gelähmt, aber seine Wut hielt mich aufrecht. Besonders als ich verstand, daß er argwöhnte, du seist es gewesen, der versucht hatte, ihn totzuschlagen.«
    »Das ist nicht wahr.«
    »Ich traue dir alles Erdenkliche zu, Lars.«
    Sie benutzte seinen Vornamen, es war, als schlüge sie damit zu.
    Ich kann zurückschlagen, dachte er. Es ist der äußerste Ausweg, daß ich sie umbringe.
    Er stellte eine Frage, um sich Luft zu verschaffen. »Wem gehört das Boot?«
    »Ist das wichtig? Es gehört einem Freund meines Vaters.«
    »Ich wußte nicht, daß du segeln kannst.«
    »Ich habe es als Kind gelernt. Als ich verstand, wo du dich vielleicht versteckt hattest, entschloß ich mich hierher-zusegeln. Mein Vater protestierte, aber ich kümmerte mich nicht darum.«
    »War es Welander, der dir gesagt hat, wo du mich vielleicht finden könntest?«
    »Er kam zu mir nach Hause, einige Tage nachdem ich mit dem Marinestab geredet hatte. Ich wollte ihn erst nicht hereinlassen, aber er sagte, er habe das Gerücht über dein Verschwinden gehört und du habest ihn bei den Admiralen angeschwärzt. Außerdem sagte er, daß er vielleicht wisse, wo du dich aufhieltest, daß du öfter zu einer Schäre gerudert seist, als ihr zusammen gearbeitet habt.
    Erst wollte ich nichts davon wissen, ich wollte dich nie wieder sehen. In der ersten Nacht, als ich begriffen hatte, wer du warst, sammelte ich all deine Kleider ein, deine Mäntel, Uniformen, Schuhe, und legte sie in einem Haufen auf den Boden. Am nächsten Tag holte Anna einen Lumpensammler, der alles mitnahm. Ich habe es mir nicht einmal bezahlen lassen. Ich wollte, daß du aufhörst zu existieren. Aber mein Vater redete mir zu, er sagte, du solltestnicht in Sünde sterben dürfen. Er nahm Kontakt mit Welander auf, der nach einigen Tagen wiederkam. Da hatte er mit einem Gendarmen oder vielleicht Landpolizeikommissar hier in der Gegend gesprochen, der glaubte, daß du dich weit draußen am offenen Meer befändest.
    Ich segelte aus den Schären heraus und nahm Kurs gen Süden. Bei Landsort wurde es windstill, ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Und ich frage mich immer noch: Warum hast du mich überhaupt geheiratet, wenn du einzig den Wunsch hattest, mich zu verletzen, mich zu belügen? Warum haßt du mich?«
    Er schrak zusammen, ein Schatten hatte sich oben auf dem Klippenabsatz bewegt. Aber es war nicht Sara Fredrika, es war ein Vogel, eine Krähe, die aufflog und nach Norden über die Schäre verschwand. Die Zeit war knapp, er mußte anfangen, Kristina Tacker vor sich herzutreiben, statt sich unter ihren Anschuldigungen zu ducken.
    »Daß ich von der Marine entlassen wurde, liegt ganz und gar an einem Mißverständnis, bei dem es darum ging, daß ich von Welander schmählich verleumdet wurde. Ich versuchte, ihn zu schützen, als er im Suff verkam, alles andere ist unwahres Geschwätz. Jetzt rächt er sich, weil er mir seine Schwäche gezeigt hat, weil ich Zeuge seiner Erniedrigung war. Er lag voller Erbrochenem auf dem Deck und mußte weggetragen werden. Aber ich konnte dir nicht sagen, daß ich entlassen wurde, es war eine solche Schande, eine solche Schmach. Ich fuhr hierher, um mir eine Art auszudenken, wie ich es dir beibringen könnte. Alles, was ich gesagt habe, war vielleicht nicht ganz korrekt, aber es hatte einen innersten Kern von Wahrheit.«
    »Was sollte das sein?«
    »Meine Liebe. Ich habe mich hierher in die Einsamkeit begeben, um mich selbst dafür zu bestrafen, daß ich nicht zu sagen vermochte, wie es eigentlich stand. Ich brauchte Zeit, Bedenkzeit, Zeit, um Mut zu schöpfen.«
    »Aber die Briefe? Die Erfindungen, Phantasien.«
    »Dasselbe, die Scham, die Schmach.«
    »Wie soll ich dir glauben können?«
    »Sieh mir direkt in die Augen.«
    Sie tat es, wie er sie geheißen hatte. Er merkte, daß er allmählich wieder die Kontrolle gewann, die Abstände regulierte.
    »Was siehst du?«
    »Einen Menschen, den ich nicht kenne.«
    »Du kennst mich. Wir sind

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