Tiefe
Hochwasser überflutet. Es lag eine dünne Schicht Schnee über den Schären, die Temperatur sank jetzt stetig unter Null. Er hatte sich in eine Decke gehüllt, die er mit einem Strick um den Körper band. Er lebte weiter mit einer einzigen Frage, der einzigen, mit der er sich noch zu beschäftigen vermochte. Wie hatte sie wissen können, was an dem Tag auf dem Eis geschehen war, als der Deserteur starb? Er suchte vergeblich nach einer Antwort.
Er ging auf der Schäre umher, aß wenig, fütterte die Katze, die immer scheuer wurde, mit kleinen Fischen. An jedem Tag ging er hinunter und kontrollierte, ob die Mine noch an ihrer Boje festgemacht war. Zuletzt blieb nichts.
Es gab Augenblicke, da waren die Gedanken ganz klar. Da verstand er, daß er niemals einem Menschen hatte nah sein können, da er eine unvernünftige Angst davor hatte, sich selbst zu verlieren.
Es gab auch andere Augenblicke, in denen er sich die Kleider vom Leib reißen, sich waschen und aus dem Verfall hochziehen wollte.
An einem Tag mit schneidendem Winterwind segelte er nach Valdemarsvik, um Zeitungen zu holen. Er las vom Krieg, daß die Seeschlachten von ausgedehnten Kämpfen im Lehm von Flandern abgelöst worden waren. Ihn überkam ein starkes Gefühl, daß das Leben für alle gleich war und daß er wieder in seinen Abgrund versinke, keinen Widerstand leisten könne. Er erkannte, daß das meiste in seinem Leben auf eine törichte Vorstellung gegründet war. Er hatte den Abstand bejaht, statt die Nähe zu suchen. In dieser Zeit, an den Tagen vor Weihnachten, hatte er seinen Namen in die Klippe gemeißelt. Hinterher verstand er, daß es sein Grabstein war, den er gestaltet hatte.
Am Weihnachtstag zog ein nördlicher Sturm über die Schären.
Er erinnerte sich, daß es genau dieser Morgen vor einigen Jahren gewesen war, an dem Sara Fredrika ihren Mann verloren hatte.
Als er auf die Klippen hinauskam, entdeckte er, daß die Mine sich aus ihrer Vertäuung losgerissen hatte. Er spähte in die aufgewühlte See, ohne sie zu sehen. Sie trieb jetzt hinaus ins Meer und in die Fahrwasser. Ich nehme am Krieg teil, dachte er. Aber ich weiß nicht, auf welcher Seite.
Der Tod kam an Neujahr 1916.
Eines Nachts, als eine steife, hartnäckige nördliche Brise blies, begann die Hütte zu brennen. Er hatte es versäumt, den Abzug in Ordnung zu halten, es war ein Riß entstanden, durch den glühende Flocken gedrungen waren. Die Wand flammte auf, als wäre sie mit Benzin übergössen.
Er erwachte von dem starken Licht. Da war es schon zu spät, um das Feuer zu löschen. Er rettete das Lot, seine Notizbücher und seine Kleider aus der Hütte.
Es brannte schnell, alles war niedergebrannt, als der Morgen kam.
Er begann zu frieren, der Wind war schneidend. Während der Nacht hatte er gemeint, Sara Fredrika und Laura im Feuerschein zu sehen.
Kristina Tacker hatte sich nicht zwischen den Flammen gezeigt. Sie war fort, stumm, er konnte nicht einmal mehr ihr Gesicht heraufbeschwören.
Gegen Nachmittag flaute der Wind ab. Das Meer lag wieder still da. Bald würde sich eine geschlossene Eisdecke bilden, wenn die Kälte anhielt.
Er fror, es wurde zu einem Schmerz, der sich dem Punkt näherte, an dem er unerträglich sein würde.
Der entscheidende Entschluß näherte sich lautlos, er kam schließlich wie eine Selbstverständlichkeit.
Möglicherweise gab es auch eine Spur Angst in ihm, aber es waren vor allem die Müdigkeit und die scharfe Kälte, gegen die er sich nicht wehren konnte.
Er fing an, die Katze zu suchen, um sie totzuschlagen, aber es gelang ihm nicht, die Katze würde die Kälte überstehen, sie wußte nicht, was der Tod war, sie würde nur sterben, wenn sie nicht genug zu fressen fand.
Er trug das Lot und die Notizbücher zur Bucht, packte alles in ein Netz und band einen Senkstein fest, bevor er es an Bord warf.
Plötzlich war es, als habe er es eilig. Er horchte auf den Wind und sah unruhig zum Himmel auf, ob es wieder zu stürmen anfangen würde.
Er wollte aufbrechen, solange das Meer still war. Das Boot glitt aus der Bucht heraus.
Er ruderte zu der Stelle, wo die beiden deutschen Matrosen auf den Boden gesunken waren. Als er dort ankam, holte er die Ruder ein, setzte sich auf die Ducht und ließ das Boot treiben. Der Wind blieb immer noch aus, das Wasser war spiegelblank. Er hob das Netz mit dem Lot und den Büchern über das Süllbord und ließ es im Wasser versinken.
Ein letztes Mal versuchte er, an den glatten Wänden des Abgrunds
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