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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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der Bucht angelangt. Kristina Tacker hatte bereits den Anker geworfen, als sie ihn entdeckte. Sie stand auf und begann, ihn anzuschreien. Um sie zum Schweigen zu bringen, watete er in das kalte Wasser hinaus, bis es ihm bis zur Brust reichte.
    »Hör auf zu schreien«, sagte er. »Ich kann alles erklären.«
    »Da gibt es gar nichts zu erklären«, schrie sie. »Warum lügst du mich an, warum versteckst du dich hier? Wie willst du das erklären?«
    Sie war zum Bug gegangen und fing an, ihn mit einem Tampen auf den Kopf zu schlagen. Er versuchte sich zu wehren, aber sie schlug immer weiter, er hätte sich nie vorstellen können, daß sie einer solchen Raserei fähig wäre. Das war nicht seine Frau, es war eine andere, eine, die jedesmal Porzellanfiguren zerbrach, wenn sie sie in ihren Regalen umstellte.
    Die einzige Art, sie zum Schweigen zu bringen, war, sie vom Boot herunterzuziehen. Er packte sie, riß sie vom Segelboot herunter. Sie wehrte sich, aber er hielt sie fest, drückte sie unter Wasser. Immer wenn sie zur Oberfläche kam, fuhr sie fort, ihn anzuschreien. Er schlug sie ins Gesicht, erst einmal, dann noch einmal, immer härter. Schließlich verstummte sie. Ihre nassen Haare klebten ihr am Gesicht. Er konnte ihren Duft nicht mehr spüren, nichts vom Wein oder dem milden Parfüm.
    »Ich werde es erklären«, sagte er. »Wenn du nur nicht schreist.«
    Er hatte noch nie eine solche Furcht empfunden wie jetzt. Wenn Sara Fredrika jetzt käme, würden alle Wände rings um ihn her einstürzen. Nichts würde überleben.
    Sie betrachtete ihn mit Abscheu.
    »Hinter einem Geheimnis kann es ein anderes Geheimnis geben«, sagte er.
    Sie ging zum Angriff über und zerkratzte ihm das Gesicht. Sie tat das ganz ruhig, ohne den Blick von ihm zu nehmen.
    Das Blut lief ihm über die Wange.
    »Ich will keine Lügen mehr darüber hören, was du tust und warum du dich hier befindest«, sagte sie. »Ich will nur, daß du mir das einzige erklärst, was wichtig ist. Warum mußte Laura sterben? Das ist das einzige, was ich wissen will.«
    Er trat einen Schritt zurück, stolperte über eine Unebenheit und fiel hin.
    Sie packte ihn an einem Arm. »Versuch nicht, wieder zu verschwinden. Das wirst du nie mehr tun. Ich werde dich finden, wo du dich auch versteckst. Alle deine Lügen hinterlassen tiefe Spuren, denen ich folgen werde, wohin sie auch führen.«
    Er war wie benebelt. Es fühlte sich so an, als würde das kalte Wasser durch seine Haut dringen und den Körper zum Schwellen bringen.
    »Wir können nicht hier im Wasser bleiben«, sagte er. »Es ist zu kalt.«
    »Das hier ist nur Wasser. Der Tod ist kalt. Laura ist kalt, nicht das da.«
    »Was ist geschehen?«
    Sie griff nach seinem Kopf und zog ihn zu sich. Sie hatte Tränen in den Augen, jetzt erkannte er sie. Die Frau, mit der er verheiratet war, kam hinter den nassen Haaren zum Vorschein.
    »Nachdem du weggegangen bist, blieb ich ein paar Wochen im Krankenhaus. Laura wuchs, wie sie sollte. Sie wurde größer und kräftiger. Aber dann wachte ich eines Nachts davon auf, daß sie schrie. Es war nicht wie üblich, es war etwas anderes. Doktor Edman kam. Er meinte, es sei eine Kolik, die von selbst verschwinden würde. Aber es wurde nicht besser, es war keine Kolik, es war eine Darmverschlingung. Laura starb unter entsetzlichen Qualen. Ich konnte nichts tun. Und wo warst du? Ich glaubte, du wärst in einem wichtigen Auftrag unterwegs, ich dachte, du wärst doch in Gedanken bei mir, ich dachte an all die Trauer, die wir zusammen durchmachen sollten. Aber der Tod des Kindes enthüllte deine Lügen, so hoch war der Preis dafür, daß ich verstand, wer du bist.«
    Sie beugte sich noch näher zu seinem Gesicht hin. »Warst du es, der auf meinen Vater losgegangen ist?«
    »Natürlich nicht. Aber schrei nicht, ich ertrage keine so lauten Geräusche.«
    Sie schlug mit der Hand aufs Wasser, so daß es ihm ins Gesicht spritzte. »Was weißt du von Geräuschen? Du hast keine Ahnung, wie ein sterbender Säugling klingt. Willst du es hören? Ich kann wiedergeben, wie sie klang, bevor sie starb.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin verzweifelt«, sagte er. »Ich verstehe nicht, was du sagst. Ist Laura tot?«
    »Am 22. August nachmittags um 4 Uhr 35 sagte
    Edman, daß er nur sein herzliches Beileid aussprechen könne. Sie ist tot. Aber du lebst. Was ist es, was du nicht verstehen kannst?«
    Er antwortete nicht. Er versuchte, das tote Kind vor sich zu sehen, aber es war nur wie ein schwarzes

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