Tiefe
ganz klar.
Sie kamen gerudert, die Schäre nahm sie mit Erstaunen auf. Sie segelten und ruderten, fischten und kamen um.
Einst haben hier Menschen gelebt. Niemand hat sie kommen sehen, niemand hat sie verschwinden sehen, nur die Klippe hat zum Abschied ihre steinerne Hand gehoben.
In den Klüften in Lee, in Schlupfwinkeln vor den kalten Herbststürmen, versuchte er sich vorzustellen, was geschehen war, als Kristina Tacker nach Stockholm kam. Aber er sah nichts, ihr Gesicht, sogar ihr Duft waren für immer verschwunden.
Er versuchte sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn Sara Fredrika zurückkehrte.
Amerika, ihr großer Traum? Gewiß konnte er sich vorstellen, dorthin zu reisen, aber dann wollte er allein sein, ein schwedischer Kapitän, der sich in der amerikanischen Marine ein neues Leben aufbauen würde. Mit Sara Fredrika würde er auf keinen Fall reisen können.
Eigentlich war es das Kind, an das er dachte. Laura Tobiasson-Svartman. Sie würde er auch in tiefer Dunkelheit sehen können. Wenn er sie verließ, würde er sich selbst endgültig aufgeben.
Es war November, immer öfter gab es Frostnächte. Er wartete auf die Rückkehr von Sara Fredrika. Der Herbst, das Warten, der Nordwind.
Eines Nachts wachte er davon auf, daß er geträumt hatte, sie sei zurückgekehrt. Er ging in die Dunkelheit hinaus und lauschte. Da draußen gab es nur das Meer, das rauschte.
Dann hörte er die Flügelschläge. Sausende Schwingen, die letzten Zugvögel, die Schweden unter dem Nachthimmel verließen. Über seinem Kopf die mächtige Armada, die ihn zurückließ.
Am 4. November fiel der erste Schnee über dem Meer. Er holte an diesem Morgen Netze ein, fühlte, wie das feuchte Schneegestöber ihn einhüllte. Der Wind war schwach, er hatte das Segel nicht gesetzt, sondern ruderte langsam. Vor dem Jungfrugrunden entdeckte er etwas, das im Wasser schaukelte. Als er näher ruderte, sah er, daß es eine große Mine war. Die Zacken ragten aus dem runden Körper hervor, der zum größten Teil unter der Oberfläche verborgen war. Es war eine russische Mine, bestimmt hatte sie sich aus einem Minenfeld losgerissen.
Er knüpfte eine Leine um das abgerissene Drahtseil und zog die Mine an Land. Mit Hilfe eines Senksteins machte er die Mine an Land fest.
Es war, als würde er anfangen, Halsskär zu befestigen.
Am Tag darauf, als er einen seiner ausgedehnten Streifzüge über die Schäre unternahm, beschlich ihn das Gefühl, Sara Fredrika habe ihn getäuscht.
Sie hatte nie daran gedacht zurückzukehren, sie war auf und davon, hatte Halsskär und ihn hinter sich gelassen.
Der Gedanke erfüllte ihn mit Panik. Er schwenkte mit dem Feldstecher übers Meer, aber da gab es kein Schiff.
Erst gegen Abend gelang es ihm, die Kontrolle über sich selbst wiederzugewinnen. Sara Fredrika würde wiederkommen, das hatte er in ihren Augen gesehen. Irgend etwas hielt sie bei Kristina Tacker zurück, aber früher oder später würde sie wieder in Halsskär an Land kommen. Seine einzige Aufgabe war jetzt das Warten. Sein einziger Auftrag.
Eines Tages, Mitte November, sah er eine pfeilschnell segelnde kleine Jacht über die Buchten gleiten. Es fiel ihm schwer, den Feldstecher ruhig zu halten. Er kannte das Boot, es war Engla, die kam. Das überzeugte ihn. Sara Fredrika war unterwegs. Endlich würde die Wartezeit vorüber sein.
Er ging hinunter in die Bucht. Es war kalt an diesem Morgen, er zog den Mantel enger um sich, befühlte die langen Haare, die über den Kragen fielen.
Als die Jacht hinter der letzten Landzunge hervorkam, sah er, daß Engla allein im Boot war.
Sara Fredrika war nicht zurückgekommen.
Engla ging vor Anker und watete an Land, den Rock über den Knien zusammengeknotet. Sie hatte einen starken Husten und fiebrige Augen. Sie gab ihm die Hand und überreichte ihm einen Brief, der in ihrem Kragenbund gesteckt hatte.
»Er ist zu mir gekommen«, sagte sie. »Von Sara Fredrika. Ich wußte nicht einmal, daß sie fort war.«
Er bemerkte ihre Neugier, kümmerte sich aber nicht darum.
»Du mußt heimsegeln«, sagte er. »Du hustest und hast Fieber.«
»Ich bleibe und warte auf Antwort.«
»Das ist nicht nötig.«
»Der Brief lag in einem anderen, an mich adressierten Brief. Sie bat mich, auf Antwort zu warten.«
Er versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Was hatte Sara Fredrika ihr geschrieben?
»Es stand nichts anderes drin«, sagte sie. »Ein Gruß, daß es dem Kind gutgehe und daß ich auf Antwort warten solle. Falls es eine
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