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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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nicht.
    »Denk mal an, wieviel Scheiße aus einem kleinen Mann wie dir kommen kann. Sie quillt nur so aus dir heraus. Aber im Moment geht es nicht um uns. Es geht um sie. Ich glaube, sie ist dabei, verrückt zu werden.«
    »Was soll ich tun?«
    »Hilf mir, sie in ihr Boot zu bringen. Ich kann sie nicht in die Jolle nehmen, wenn sie durchdreht, kann sie sich über Bord werfen. Ich kann sie auch nicht fesseln. Ich kann keinen gefesselten Menschen an Land segeln.«
    »Erträgt sie es, mich zu sehen?«
    »Ich glaube, es gibt dich nicht mehr. Als sie das Kind gesehen hat, als sie den Namen hörte, ging irgendwas kaputt. Ich hörte es in mir, das Knacken von dem Zweig, der zerbrach, dem Lebenszweig in ihr.«
    Sie sah zum Segelboot hinüber. »Ich habe noch nie ein so großes Boot gesegelt, aber irgendwie muß es eben gehen. Wie viele Segel hat es?«
    »Zwei.«
    »Ich werde das Boot segeln können, auch wenn es groß ist.«
    »Wohin willst du sie bringen?«
    »Ich werde dafür sorgen, daß sie nach Hause kommt.«
    »Du kannst sie nicht nach Stockholm segeln. Es ist weit, du wirst es nicht finden.«
    »Wenn ich dich gefunden habe, werde ich wohl auch die Fahrwasser nach Stockholm finden. Das Kind nehme ich selbstverständlich mit. Aber du wirst hierbleiben. Wenn ich zurückkomme, gehen wir fort. Ich verzeihe dir nicht alle deine Betrügereien, all die Falschheit, die du um dich verbreitet hast. Aber irgendwo in dir muß es etwas geben, das echt ist.«
    Er streifte ihren Arm.
    Sie zuckte zurück. »Komm mir nicht zu nah. Wäre ich nicht abgehärtet, würde ich verrückt werden wie sie. Eigentlich verdienst du einen Senkstein um den Leib. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, noch mal einen Mann zu verlieren. Auch wenn er sich beträgt, als fehlte ihm das Innere, als wäre er mit bösen Absichten auf die Schäre gekommen, bei all seinem Lächeln und seinen schönen Worten.«
    Sie gingen hinauf zum Haus. Er erschrak, als er Kristina Tacker sah. Ihr Gesicht war zerschrammt von den Dornen und Zweigen, ihre Kleider waren zerrissen und mit Erbrochenem beschmutzt. Sie saß auf dem Hocker und wiegte sich vor und zurück.
    Sara Fredrika hockte sich vor sie hin. »Wir brechen jetzt auf, es bläst kein starker Wind, aber doch genug, um uns von hier wegzuschieben.«
    Kristina Tacker reagierte nicht.
    Sara Fredrika hatte einen Korb mit Proviant und einen anderen mit Kleidungsstücken gepackt. »Du trägst die Körbe«, sagte sie. »Ich übernehme sie und das Kind.«
    Sara Fredrika ging an der Spitze, sie trug das Kind und stützte Kristina Tacker. Ein Stück dahinter kam Lars Tobiasson-Svartman mit den beiden schweren Körben. Wieder erlebte er es, als nähme er an einer Prozession teil. Hinter ihm gab es andere Teilnehmer, die er nicht sehen konnte.
    Sie wateten hinaus zum Boot.
    Der Herbstmorgen war klar, kalt, der schwache Wind kam aus Südost. Kristina Tacker war stumm, sie ließ sich durchs Wasser führen, als sollte sie getauft werden. Sara Fredrika brachte sie zusammen mit dem Kind in die Kajüte. Er stand da, das kalte Meerwasser bis zur Taille. Mit einem Schlüssel, den sie in einer Tasche von Kristina Tacker gefunden hatte, schloß sie erst die Kette um das Segel auf, dann die zweite, die das Ruder sperrte.
    »Ich komme zurück«, sagte sie. »Ich sollte verschwinden, aber das tue ich nicht. Natürlich kannst du die Jolle nehmen und dich davonmachen. Aber wohin solltest du dich wenden? Du wirst auf mich warten, weil du keine Wahl hast.«
    Sie holte den Anker ein und wies ihn an, das Boot hinauszuschieben. Er blieb im Wasser stehen, bis das Großsegel Wind gefaßt und sie Kurs nach Nordost genommen hatte.
    Das Segelboot verschwand um die Landzungen herum. Er watete an Land. Sein einziger Gedanke war, schlafen zu dürfen.
    Die Zeit, die folgte, war wie ein Gespräch mit Schatten. Er ging auf der Insel herum, kletterte auf die Klippen, tastete sich in Klüfte hinunter, die ihm Schutz vor den immer kälteren Herbststürmen boten.
    In einer Nacht erwachte er von Kanonenschüssen und sah Feuerschein am Horizont. Sonst schlief er tief und traumlos, mit der zusammengerollten Katze am Fußende der Pritsche. Er ging nur fischen, wenn er Essen brauchte. Immer öfter hörte er Stimmen von den Klippen, von all denen, die einst dort gelebt hatten.
    Einst haben hier Menschen gewohnt, dachte er. Sara Fredrika hat erzählt, daß sie ihre Rippen als Ruder benutzt hatten. Damals verstand ich nicht, was sie meinte. Aber jetzt sind die Worte

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