Tiefer gelegt
von Ernest Hemingway herauf. Und das Ökosystem war ganz einmalig und
so anders als die Innenstadt von Baltimore, wie es überhaupt
nur möglich war. Das weiß ich, weil ich so gern Reisesendungen ansehe.
Wir durchfuhren Key Largo und hüpften, über Brücken
gleitend, die nur Zentimeter über dem Wasser zu schweben
schienen, von einer Insel zur anderen. Plantation Key, Islamorada, Fiesta Key. Die Sonne ging allmählich unter, und der
Himmel war in Textmarker-Flamingorosa getaucht, durchbrochen von magentafarbenen Wolkenstreifen. Die Straßenränder
waren zugemüllt mit Imbissbuden, Immobilienbüros, Froggy’s
Gym, ein paar Schnellrestaurants, Souvenirshops, die sich auf
Krimskrams aus importierten taiwanesischen Muscheln spezialisiert hatten, Tankstellen und Lebensmittelläden in kleinen
Gewerbezeilen.
Wir brummten durch Marathon, über die Seven Mile Bridge, durch Little Torch Key. Als wir in Key West ankamen, war
es schon dunkel. Da Wochenende war, war Key West voller
Touristen. Die Touristen verstopften die Bürgersteige und
Straßen. Heerscharen übergewichtiger Männer in braunen
Socken und Sandalen und sackartigen Khakishorts. Horden
übergewichtiger Frauen in T-Shirts, auf denen für Bars, Angelläden, ihren Status als Großmutter, Eis, Motorräder, Key West
und Bier geworben wurde. Die Restaurants waren hell erleuchtet und verstellten mit ihren Tischen die Bürgersteige. Die
Läden hatten geöffnet, verkauften Kunstgewerbe und alles nur
Erdenkliche mit Jimmy Buffetts Bild. Straßenverkäufer boten
T-Shirts feil. An jeder Straßenecke boten sich ErnestHemingway-Doppelgänger an. Für zehn Dollar ein Foto mit
dir und Ernest Hemingway.
»Ich hätte gedacht, es wäre ein bisschen … inselmäßiger«,
sagte ich.
»Honey, das ist inselmäßig. Wenn Ernest heute leben würde, säße er in South Beach und würde die Clubs unsicher machen.«
»Ich sehe kaum Hotels. Glaubst du, wir finden hier irgendwo ein Zimmer?«
»Ich habe einen Bekannten, Richard Vana, der hier unten
ein Haus hat. Da können wir übernachten.«
Hooker bog in eine Seitenstraße, weg von den Touristenscharen. Zwei Querstraßen weiter fuhr er in eine Einfahrt. Wir
befanden uns in einem Straßenzug mit kleinen, eleganten Häusern in viktorianischem Stil und Inselbungalows mit Plantagen-Fensterläden. Die Häuser kauerten in tiefem Schatten und
versteckten sich hinter winzigen Gärten voller exotischer Blü
tenbüsche und Bäume.
Ich griff nach meiner Tasche und folgte Hooker zum Haus.
Es war ein ebenerdiger Bungalow. Die Farbe war in der Dunkelheit kaum zu erkennen, aber ich konnte mir vorstellen, dass
er gelb gestrichen mit weißen Zierleisten war. In der Luft lag
der schwere Duft von nachtblühenden Jasmin- und Rosenbü
schen. Im Haus brannte kein Licht.
»Sieht nicht so aus, als wäre dein Freund zu Hause«, sagte
ich zu Hooker.
»Er ist praktisch nie da. Höchstens ein paar Wochen im
Jahr. Ich habe ihn angerufen, bevor wir aus Miami losgefahren
sind, und ihn gefragt, ob wir sein Haus benützen dürfen.«
Hooker fuhr mit den Fingerspitzen über den Türstock und hielt
gleich darauf einen Schlüssel in der Hand. »Einer der Vorteile,
Rennfahrer zu sein. Man lernt viele interessante Leute kennen.
Der Knabe hat auch ein Boot, das wir uns ausleihen können …
falls wir ein Boot brauchen sollten.« Hooker schloss die Tür
auf und schaltete das Licht im Windfang ein.
Das Haus war nicht groß, aber es wirkte gemütlich. Die
Möbel waren aus Rattan und dick aufgepolstert. Die ganze
Einrichtung war in Karmesinrot, Gelb und Weiß gehalten. Die
Böden waren aus Kirschholz.
»Am Ende des Flurs liegen rechts zwei Gästezimmer«, sagte Hooker. »Du kannst dir eins davon aussuchen. Sie sind beide gleich hübsch.« Er ließ seine Reisetasche fallen, schlenderte
in die Küche und steckte den Kopf in den Kühlschrank. »Wir
haben Corona und Cristal-Sekt und Diet Coke. Ich nehme ein
Corona. Was möchtest du?«
»Auch ein Bier. Du scheinst dich hier gut auszukennen.«
»Stimmt. Wahrscheinlich bin ich öfter hier als Rich. Ich
mag die Keys.«
»Lieber als South Beach?«
Er nahm einen tiefen Schluck Bier. »Nicht lieber. Ich glaube, das kommt ganz auf meine Stimmung an. Wenn ich ein
Haus auf den Keys hätte, dann bestimmt nicht auf Key West.
Lieber auf einer der ruhigeren Inseln weiter nördlich. Ich angle
gern. Mit den Touristenmassen habe ich es nicht so. Hier unten
gibt es jede Menge NASCAR-Fans, und wenn ich erst mal auf
der Straße erkannt
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