Tiefer Schmerz
vermeiden, daß er beraubt wurde, er würde sich aggressive Bettler vom Leib halten und sich mit unwilligen Oststaatenpolizisten ohne Computer herumärgern.
Aber er hatte es selbst gewählt.
Und keine Sekunde bereute er es.
Er sah auf die Uhr. Es war Zeit. Er klickte die Datei mit der Zeichnung des Palazzo Riguardo weg und tauschte die CD-Rom gegen eine andere aus, die er neu gekauft hatte. Er startete die Installation eines Programms und öffnete einen kleinen Karton, der neben dem Computer auf dem Verandatisch lag. Die Grillen zirpten und gaben der pechschwarzen Finsternis Konturen.
Er packte eine Vorrichtung aus, die einer kleinen Taschenlampe glich. Er schloß das kleine Ding an seinen Laptop an und befestigte es auf dem oberen Rand des aufgeklappten Bildschirms.
Die Installation war fertig. Er akzeptierte alle mystischen Lizenzverträge und sah sich selbst auf dem Bildschirm. Er war kohlrabenschwarz.
Er zog die Stehlampe heran, die hinter ihm stand, und richtete ihren Schein auf sein Gesicht. In der gleichen Sekunde leuchtete auch sein Gesicht auf dem Bildschirm auf. Einen kurzen Moment lang war ihm, als sähe er Onkel Pertti vor sich, den jungen Onkel Pertti mit der Hand am Säbel. Der Arto Söderstedt so ähnlich war, daß es zum Lachen war. Was tat er da? Ein Schauder durchfuhr ihn.
Arto streckte ihm die Zunge heraus. Onkel Pertti auf dem Bildschirm streckte auch die Zunge heraus.
Der Bann der Verzauberung war gebrochen.
Arto Söderstedt kehrte zum Technischen zurück. Jetzt sollte es funktionieren.
Er klickte sein Bild vom Bildschirm weg. Es gehörte ihm und sonst niemand.
Während er das Internet aufrief, sammelten sich die Insekten um die einsame Lichtquelle. Er fühlte, daß sein Gesicht gesprenkelt war von unbekannten Flugviechern, als er endlich ein ganz anderes, doch ebenso wohlbekanntes Gesicht auf dem Bildschirm erkannte und sagte: »Hallo, Lohnarbeiter.«
31
Cilla sah erwartungsvoll aus, als das geläuterte Paar einen eleganten Hauseingang in Birkastan betrat. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, während sie die echte Jugendstiltreppe hinaufstiegen, und auch nicht, als sie vor der Tür mit dem einzigen ausländischen Namen im ganzen Viertel standen. Da wagte auch Paul Hjelm, sich erwartungsvoll zu fühlen.
Obwohl es fast halb acht war.
Sie griff nach seinem Arm, und er fühlte sich plötzlich an ihre gemeinsame Jugend erinnert. Es war so lange her, seit er diesen Griff gespürt hatte, er war beinah ein bißchen gerührt.
»Daß ich sie endlich alle einmal treffe«, sagte Cilla, während er umständlich den Blumenstrauß aus dem Seven Eleven-Laden an der Ecke aus dem Papier wickelte.
»Aber das hast du doch längst!« sagte er erstaunt.
»Nein«, sagte sie und drückte seinen Arm.
Er klingelte.
Sara machte auf. Sie trug dezentes Make-up unter den grünlichen Stoppelhaaren, die zu Ehren des Tages ein bißchen extra struppig waren, und ihr schlichtes dunkelblaues Kleid erhob nicht den Anspruch, irgendwelche Formen zu verbergen. Sie umarmte die beiden und hieß sie willkommen. Der müde Seven Eleven-Strauß wurde glücklicherweise durch eine Flasche Malt-Whisky ergänzt.
Sie betrachtete die Flasche, nickte und flüsterte Paul zu:
»Du vergißt doch nicht das heilige Versprechen?«
Paul lachte leichthin und schüttelte den Kopf.
Mit keinem Wort den laufenden Fall zu erwähnen.
Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um das Versprechen zu halten. Doch leicht würde es nicht sein.
Jorge kam ihnen aus dem Wohnungsinneren entgegen. Er trug ein blaues Hemd und einen ganz neuen beigefarbenen Leinenanzug, der jedoch genauso aussah wie der alte.
»Jetzt ist das Essen hinüber«, sagte er und drückte ihnen je ein Glas roten Martini in die Hand.
»Auweia«, sagte Cilla, während sie ihre Jacke aufhängte.
»Sind wir so spät?«
»Ah«, sagte Jorge. »Du schimmerst, Cilla.«
»Schimmerst?« sagte sie und umarmte ihn.
Er warf einen Blick auf die Whiskyflasche, die Sara ihm reichte.
»Cragganmore?« sagte er.
»Perfekt, wenn man die Exzesse satt hat«, sagte Paul.
»Aber kommt doch rein«, sagte Jorge mit einer galanten einladenden Geste zu den späten Gästen. »Daß nicht einmal du hier gewesen bist, Paul. Das nenne ich soziale Misere.«
Sie traten durch einen Vorhang aus indianischen Perlenschnüren vom engen Flur in die Wohnung.
»Chilenisch«, sagt Jorge.
Sie folgten einem Duft von knoblauchgesättigtem Essen ins Wohnzimmer. Auf dem Weg dahin warf Paul
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