Tiefer Schmerz
Geschlecht zu bieten hatte. Er war bereit für etwas Festeres.
Er räusperte sich und sagte: »Ihr kennt ja die Einzelheiten der sogenannten Vorortzugschlacht. Der Nachtpendelzug von Kungsängen. Drei Profisprayer führen eine Totalrenovierung in einem Wagen durch, in dem eine Gang von Alkis sitzt. Fünf Vollblutalkoholiker um die Vierzig sind moralisch entrüstet über diesen Vandalismus und gehen auf die Sprayer los, sämtlich gut durchtrainierte junge Burschen von Anfang Zwanzig. Es gibt eine gewaltige Schlägerei. Zwei Alkis tragen Gehirnverletzungen davon, ein Sprayer stirbt, alle sind mehr oder weniger schwer verletzt. Als der Wagen in Karlberg eintrifft, steigt ein Pensionär mit einem Schoßhund in ein Blutbad ein. Es ist tatsächlich genauso langweilig, wie es sich anhört, rein polizeilich betrachtet. Ich hoffe, daß die neuen Ereignisse stimulierender sind. Viggo und ich haben also nichts Neues zu bieten. Alle Beteiligten sind festgenommen und angeklagt. Außer dem Pensionär, der einen Herzinfarkt bekam. Er ist endlich außer Lebensgefahr.«
Hultin warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Alles schien okay. Er nickte und dankte Nyberg. »Na, dann«, sagte er. »Die Vorortzugschlacht können wir dann wohl als abgeschlossen betrachten. Zeit für bestialische Marder.«
Jorge Chavez blickte aus diversen Papieren auf und warf einen Blick zu Paul Hjelm hinüber, der mit einer Geste andeutete, daß er aufs Wort verzichtete.
»Ja«, sagte Chavez. »Kennt ihr den Vielfraß?«
Niemand kannte offenbar den Vielfraß.
»Wie der Name schon sagt, ein großer Fresser. Ein Tier von maßloser Gier. Im Sommer ernährt es sich von Kleintieren, aber im Winter verschlingt es gern das eine oder andere Rentier. Vorgestern abend hatten vier Vielfraße in Skansen offenbar Wintergefühle, denn diese Wesen, die weniger als dreißig Kilo das Stück wiegen, haben da einen Mann mit Haut und Haaren verschlungen. Ganz buchstäblich. Übriggeblieben sind eine Menge Fasern von einem hellrosa Anzug, Segmente eines Wadenbeins und ein Doppelknoten an einem acht Millimeter dicken rot-lila gestreiften Polypropenseil, ein rechter Zeigefinger sowie dies hier.«
Er hielt eine ziemlich mitgenommene Spielkarte in die Höhe.
Es war die Pikdame.
»An der Pikdame finden sich Reste der wahrscheinlichen Ursache für die Gier der Vielfraße. Kokain. Analysen von Fleisch- und Blutresten zeigen dasselbe: Unser Opfer hat kurz vor seinem Tod ansehnliche Mengen Kokain konsumiert. Weil die Droge sich im Blut befand, steigerte sie die Gier der Vielfraße. Wir wissen ja, daß die schlimmsten Grausamkeiten zum Beispiel im Krieg unter Drogeneinfluß begangen werden. Offensichtlich unterscheidet sich die Tierwelt in dieser Hinsicht nicht besonders von der Menschenwelt. Die Vielfraße wurden von dem Kokain ganz einfach wahnsinnig und brachten es fertig, so gut wie das gesamte Skelett zu vertilgen, den Schädel inbegriffen. Er ist auf jeden Fall nicht gefunden worden. Dagegen haben die Mannen meines Schwiegervaters es geschafft, nicht nur eine DNA-Analyse, sondern auch einen durchaus brauchbaren Fingerabdruck zu produzieren. Keins von beiden findet sich jedoch in schwedischen Registern, deshalb haben wir sie weitergeschickt an Interpol und Europol. Die Fingerabdrücke des Opfers finden sich auch nicht an dem Eisengitter um das Gehege der Vielfraße. Keiner von den dort vorgefundenen Fingerabdrücken findet sich übrigens im Kriminalregister. Der Finger, der ziemlich zerschnitten war, wies Erdspuren auf, die von einem Erdhaufen in der südlichen Ecke des Vielfraßgeheges stammen, wo es zu den Zuschauerplätzen am steilsten ist. An einer besonderen Stelle an diesem Erdhaufen wurden Blut- und Hautreste des Opfers gefunden, und zwar in fünf Buchstaben, die er allem Anschein nach mit dem Finger in die Erde schreiben konnte. Das Wort, wenn es sich um ein Wort handelt, kann man als ›Epivu‹ lesen. Das E ist eine Versalie, der Rest sind kleine Buchstaben. Kann einer von euch damit etwas anfangen?«
Keiner reagierte.
»Nein«, sagte Chavez. »Wir auch nicht. Fehlanzeige auch im Internet, kann ich euch verraten. Kein einziger Treffer.«
»Soweit das Vielfraßgehege«, fuhr Paul Hjelm fort. »Das Seil ums Bein führte dazu, daß wir vorschnell vermuteten, er sei dorthin gebracht worden, möglicherweise bewußtlos oder bereits tot. Eigentlich dauerte es viel zu lange, bis ich reagiert habe. Ich kam aus dem Astrid-Lindgren-Krankenhaus, wo ich ein kleines Mädchen
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