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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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hatte so sonderbar nach seiner eigenen geklungen.
    Er blickte über die versammelte A-Gruppe, räusperte sich, blätterte den Papierstapel auf dem Katheder durch und sagte mit höchst alltäglicher Stimme:
    »Na dann, meine Freunde: Das Tagewerk ruft.«
    Er betrachtete sie verstohlen durch seine Eulenbrille, um zu sehen, ob sie etwas merkten. Sie sahen aus wie gewöhnlich. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß einer da unten etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte. Er atmete aus und fuhr fort:
    »Gestern hatten wir bekanntlich zum erstenmal seit langem wieder einige ungewöhnliche Vorkommnisse. Keiner von euch hat gezögert, die Spurensicherung kräftig einzuspannen, und die Rechnung wird dafür sorgen, daß sich Mörner der Magen umdreht. Aber natürlich habt ihr richtig gehandelt. Dies bedeutet also, daß wir drei Fälle in Arbeit haben, weil Viggo und Gunnar die ganze Vorortzugschlacht übernommen haben. Kommen wir da irgendwie weiter, Gunnar?«
    Bevor Jan-Olov Hultin den Blick auf Gunnar richtete, ließ er ihn über seine Armbanduhr gleiten. Sie zeigte fünf nach halb. Die Zeit schien wieder an ihrem Platz zu sein.
    Der darauf folgende Anblick von Gunnar Nybergs Gesicht war fast ebenso schockierend wie üblich. Doch nur fast. Inzwischen hatte sich Hultin wider alle Erwartungen tatsächlich daran gewöhnt, daß Schwedens größter Polizist abgedankt hatte. Von den hundertsechsundvierzig Kilo waren nur noch gut hundert übrig. Gunnar Nyberg hatte das Unmögliche wahr gemacht: Er hatte abgenommen. Und da der ehemalige Mister Sweden selten etwas halb tat, hatte er ordentlich abgenommen. Vierzig Kilo runter. Und das mit Hilfe des gesamten Registers: Gesundheitskost, Jogging, Schwimmen, sogar mit Akupunktur und Fußzonentherapie. Es war höchst imponierend.
    Nyberg hatte mit aller wünschenswerten Deutlichkeit eingesehen, daß jeder Mensch auf der weiten Welt sein alles andere überschattendes Motiv durchschaut hatte; sie halfen ihm sogar auf die Sprünge. Doch noch hatte er kein richtiges Glück gehabt.
    Er brauchte eine Frau.
    Ja, doch, mehrere Kollegen aus der A-Gruppe hatten ihn mit weiblichen ›singles‹ aus ihrem Bekanntenkreis zusammengebracht. Er hatte mehrere ›dates‹ gehabt und begann all der angloamerikanischen Ausdrücke überdrüssig zu werden, die die Treffen mit dem anderen Geschlecht umgaben. Dagegen war er des anderen Geschlechts nicht im geringsten überdrüssig. Im Gegenteil. Ein zwei Jahrzehnte währendes selbstauferlegtes Zölibat war abgebrochen worden; Gunnar Nyberg mußte sich nicht mehr selbst kasteien wie ein mittelalterlicher Mönch. Er hatte sich mit seinen Kindern versöhnt und sogar mit seiner Exfrau, die er bei den dopingbedingten Ausrastern während seiner Bodybuilderzeit aufs gräßlichste mißhandelt hatte. Er traf regelmäßig seinen Enkel Benny in Östhammar, der inzwischen fast drei Jahre alt war und außerdem bald eine Schwester bekommen sollte, wie der Ultraschalltest unabsichtlich enthüllt hatte.
    Leider mußte er zugeben, daß die Dame, die die zweifelhafte Ehre hatte, ihn vom Zölibat zu befreien, keine Erinnerung bei ihm hinterlassen hatte. Nicht genug damit, daß ihm ihr Name entfallen war, er wußte auch nicht mehr, wie sie aussah. Er war so nervös gewesen, daß er die Wände hochging in seiner alten Jungesellenwohnung bei der Nacka Kyrka, wo er im Kirchenchor den tiefsten Baß sang. Was er noch wußte, war, daß Viggo Norlander das Ganze angezettelt hatte. Es war bestimmt eine Kollegin von Viggos neuer Lebensgefährtin Astrid vom Reichsarchiv, eine Dame in den Vierzigern. Sie wollten sich bei ihm zu Hause treffen, um zum Krug im Nacka-Zentrum zu gehen, so weit erinnerte er sich, doch dann ließ ihn seine Erinnerung im Stich. Er glaubte nicht, daß sie überhaupt in den Krug kamen. Statt dessen hatte er eine vage Vorstellung von überraschend unmittelbaren sexuellen Aktivitäten. Weiter erstreckte seine Erinnerung sich nicht. Sie hatten sich nie mehr getroffen, und sein einzig bleibender Eindruck war Viggo Norlanders Bemerkung ein paar Tage später, mit einem vielsagenden Lächeln hingeworfen: »Sie ist immer noch bettlägerig, du Schurke.«
    Wahrscheinlich war dies als Lob gemeint und nicht als Tadel, doch Gunnar Nyberg hatte keine Ahnung. Sicherheitshalber traf er sie nie mehr. Dagegen traf er andere Frauen, und je schlanker er wurde, desto sicherer fühlte er sich, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt empfand er nur frohe Erwartung angesichts der Freuden, die das andere

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