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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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mit jemandem hinter ihnen sprach. Doch da war niemand.
    »Entschuldigung«, sagte Hjelm. »Ich verstehe nicht …«
    »Jemand hat den Zaun aufgeschnitten«, sagte der Mann und nickte zu dem feinmaschigen Netz. »Und ich kann die Leute verstehen.«
    »Wann war das?«
    »Sie haben es anscheinend gestern entdeckt. Ich arbeite nicht hier.«
    »Es sieht aber aus, als arbeiteten Sie …«
    Der Riese im Blaumann seufzte tief. »Ich bin von der Zaunfirma. Ich mache nur eine provisorische Reparatur. Es ist Freitag, und wir können den neuen Zaun erst Anfang nächster Woche liefern.«
    »Und dies war also wann? In der Nacht auf Donnerstag?«
    »So muß es gewesen sein. Und zwei Tage später kommen also zwei Polizisten in Zivil vorbei, um die Eindringlinge zu fangen. Schön, daß in diesen Einsparungszeiten wenigstens die Prioritäten stimmen. Und ihr glaubt nicht, daß sie möglicherweise inzwischen verschwunden sind?«
    »Doch«, sagte Paul Hjelm. »Ganz entschieden.«
     
    Ein Polizist in Uniform kam aus der U-Bahnstation Odenplan hochgestürzt und kotzte Viggo Norlander vor die Füße.
    Aha, dachte Viggo Norlander und musterte seine kürzlich erstandenen italienischen Schuhe mit einem inneren Seufzer. So einer.
    Nachdem er festgestellt hatte, daß die Schuhe mit heiler Haut davongekommen waren, und die Entschuldigungen des schuldbewußten Polizeiassistenten entgegengenommen hatte, wandte er sich Gunnar Nyberg zu, dessen Blick ebenfalls besagte: Aha. So einer.
    So ein Fall.
    Sie hatten im Norrboda-Motell in Slagsta gesessen und Asylbewerber vernommen, als Jan-Olov Hultin anrief und sagte: »Ich glaube, ihr solltet euch einmal etwas ansehen.«
    Und so waren sie in die Stadt zurückgekehrt.
    Während sie unter den rot-weißen Plastikbändern durchtauchten und sich in die Unterwelt begaben, begleitet von dem aschfahlen und dann und wann aufschluchzenden Polizeiassistenten, dachte Viggo Norlander an Erbrochenes. Das letzte Jahr war nämlich von Derartigem bestimmt gewesen. Komisch, dachte er, was für ein Unterschied zwischen dem Erbrochenen von Kindern und dem von Erwachsenen. Und besonders Babyerbrochenes, diese dünnen, weißen, fast wohlduftenden Schauer, die sich wie Nektar über frischgebackene Eltern ergießen. Und dann plötzlich verändert es sich, auf einmal riecht es wie – Kotze.
    Das ist ein entscheidender Moment im Leben aller Eltern von Kleinkindern.
    Dieser Moment war kürzlich bei der Familie Norlander eingetreten. Der eingefleischte Junggeselle Viggo, der ein wenig überraschend mit fünfzig noch Vater geworden war, bemerkte eines Tages, daß das Erbrochene von Klein-Charlotte angefangen hatte, schlecht zu riechen. Es war eine fürchterliche Entdeckung. Bald würde sie auch anfangen zu laufen. Auf einmal fühlte er sich alt. Ihn überfiel die Einsicht, daß er Charlottes Urgroßvater hätte sein können.
    Urgroßvater.
    Zum ersten Mal begann er, sich darüber Gedanken zu machen, wie es Charlotte mit so alten Eltern ergehen würde. Er geriet in eine Krise. Sie dauerte mehrere Minuten. Für Viggo Norlanders Verhältnisse war es eine ungewöhnlich lange Krise.
    Der Bahnsteig lag völlig verlassen da. Es war ein schauerlicher Anblick. Die U-Bahnstation war geräumt worden, und zwischen Rådmansgata und St. Eriksplan verkehrten Ersatzbusse. In einer halben Stunde mußte der Verkehr wieder in Gang gebracht werden. Dann setzte in Stockholms Innenstadt der Feierabendverkehr ein. Und da würden Ersatzbusse nicht ausreichen.
    Viggo Norlander und Gunnar Nyberg hatten also eine knappe halbe Stunde Zeit, um das Geschehen zu überschauen und unter Kontrolle zu bringen.
    Hultin hatte sie auf der Stelle angerufen.
    »Warum?« fragte Nyberg in sein Handy.
    Einen Moment blieb es still. In Nybergs Innerem klang noch die Stimme aus der Vormittagssitzung nach: ›Alle diese vagen Ahnungen gehen mir allmählich auf den Geist.‹ Und Hultin wußte, wovon er sprach.
    »Ich weiß«, sagte er kleinlaut. »Es ist vage. Aber richtig normal ist es nicht. Fahrt sofort hin.«
    »Dürfen wir schnell fahren?« fragte Nyberg hoffnungsvoll. Im Zuge seiner Lebenserneuerung hatte er seinen alten klapperigen Renault gegen einen brandneuen ausgewechselt. Nachdem er mit achtzehn einen R 4 besessen hatte, einen lebensgefährlichen ›Laban‹ aus papierdünnem Blech, wurde er der französischen Marke nie untreu. Es war eine lebenslange Liebe.
    »Ja«, sagte Hultin großzügig. »Ihr sollt schnell fahren.«
    Und sie fuhren schnell. Slagsta-Odenplan in

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