Tiefer Schmerz
zischte er.
Doch die Unterlippe zitterte nicht. Sie straffte sich. Die dunklen Augen wurden schmal.
Das Messer flog davon. Er begriff nicht, warum. Dann bekam er einen Tritt ins Gesicht. Er sah die Schuhsohle. Reebok. Dann fühlte er, wie die Zähne nach innen gedrückt wurden. Wie in Zeitlupe sah er, auf dem Kopf, daß Adib gegen eine Bank geschleudert wurde und wie leblos zusammensackte. Er hörte die Kleinfuzzis rennen.
Er fand das Messer. Er kam hoch. Pfui Teufel, dachte er und ließ die Zunge an den Vorderzähnen entlang gleiten. Sie waren nach innen geknickt und lagen am Gaumen an. Er spürte, wie eine abgebrochene Wurzel durch die Oberlippe drang.
Alles schmeckte nach Blut.
»Jju Jjau«, lallte er, angelte sich das Messer vom Perron und hielt es vor sich.
Sie stand genau vor ihm, vollkommen ruhig. Er warf sich nach vorn und packte das Handy. Da traf ein fürchterlicher Tritt sein Zwerchfell. Ohne Luft zu bekommen, fühlte er, wie er vorwärtsgeschoben wurde. Seine Hände, eine mit dem Messer, die andere mit dem Handy, liefen idiotisch über den Bahnsteig. Er hörte den Zug. Er sah die Lichter im Tunnel aufblitzen.
Er kämpfte wie eine Furie. Er fuchtelte mit den Armen und rutschte mit dem Kinn über den Bahnsteig. Er kämpfte um sein Leben. Aber da war nichts, wogegen er kämpfen konnte. Sein Körper wurde über die Kante geschoben, langsam, unerbittlich langsam, und das immer dröhnendere Geräusch der U-Bahn stieg zu einem Wahnsinnsschrei an, und das war das allerletzte Geräusch, das Hamid jemals hörte.
Danach war er ein zerrissener Mensch.
8
Die niedlichen Kleinen tranken Wasser. Wie goldige Bärenjunge hockten sie sich ein wenig plump hin und schlabberten Wasser aus dem Teich. Ihre kleinen rosa Zungen bewegten sich wie die von Katzenjungen. Es waren Tiere von dem Typ, den Kinder unbedingt zum Kuscheln mit nach Hause nehmen wollen.
Es wäre von den Eltern jedoch kein kluger Zug gewesen.
Die süßen Kleinen waren Vielfraße.
Paul Hjelm sah sie ein wenig tollpatschig, fröhlich mit dem eichhörnchenähnlichen Schwanz wedelnd, davon watscheln. Er konnte sich nur schwer vorstellen, wie diese gutmütigen Geschöpfe sich Menschenschädel einverleiben sollten.
»Komm jetzt«, sagte Jorge Chavez ungeduldig. »Paß auf, daß sie dich nicht hypnotisieren. Denk an Ellroy.«
Hjelm beugte sich zum Holzzaun vor, holte sehr tief Luft und fragte geradeheraus, laut und deutlich: »Wer, verdammt, ist Ellroy?«
Doch da hatte Chavez das Vielfraßgehege bereits verlassen und lief auf der anderen Seite des Asphaltwegs am Wolfsgehege entlang. Als Hjelm ihn einholte, sagte Chavez: »Das Wolfsgehege ist also ziemlich groß. Es erstreckt sich von den Luchsen bis hierher. Unmittelbar unterhalb der Vielfraße endet es. Was passiert dann?«
Es hatte zu regnen aufgehört, aber der Boden war immer noch heimtückisch glitschig. Sie bogen ab zum Wolfsgehege, und jeder Schritt war lebensgefährlich. Ein kleiner rutschiger Abhang führte um das Wolfsgehege und hinunter zum äußeren Zaun. An einer Art Tor hockte ein langer schmaler Typ im Blaumann und mit Schutzbrille. Er schweißte. Bläuliche Funken sprühten um ihn her wie verirrtes Neujahrsfeuerwerk.
Sie warteten. Das Feuerwerk sank in sich zusammen. Er klappte die Schutzbrille hoch, die eher eine Gesichtsmaske mit eingebauter Brille war. Sie husteten. Er drehte sich um.
»Hej«, sagte Hjelm. »Wir sind von der Polizei.«
Der Typ im Blaumann nickte kurz und wollte sich wieder seiner Arbeit zuwenden.
Chavez faßte ihn an der Schulter. »Einen Augenblick«, sagte er. »Was ist denn hier passiert?«
Der Typ nahm die Gesichtsmaske ab, kam hoch und starrte aus gut zwei Meter Höhe auf Chavez hinunter.
»Ich finde auch, daß es teuer ist, nach Skansen zu gehen«, sagte er. »Und dann müssen die Kinder auch noch in dies blöde Aquarium, zu diesem bärtigen Fernseh-Jonas, und schon sind fünfhundert Mäuse zum Schornstein raus. Und dann wollen sie was essen und mit diesen dämlichen Schienenautos fahren und Lose kaufen, um Pokemon-Scheiß zu gewinnen, an dem Nintendo Milliarden und Abermilliarden verdient, und schon ist man nicht mehr weit vom Tausender entfernt. Da wünscht man sich, man wäre statt dessen lieber ins Gröna Lund gegangen, doch dann denkt man, daß da inzwischen mehrere Tausender den Abgang gemacht hätten. Aber zumindest hätte man da den freien Fall ausprobieren können.«
Die beiden Polizeibeamten drehten sich verwirrt um, um zu sehen, ob der Mann
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