Tiefer Schmerz
fünfzehn Minuten. Auf Straßen mit hoher Aquaplaning-Gefahr.
Sie glitten die Rolltreppe hinunter. Im Unterschied zu den meisten U-Bahnstationen in Stockholm war die Station Odenplan luftig und geräumig, mit hoher Decke und offenem Bahnsteig, ohne trennendes Mauerwerk. Ungefähr in der Mitte des Bahnsteigs saß ein junger Mann mit einer Bandage um den Kopf. Um ihn herum standen abwartend zwei Sanitäter mit einer Trage sowie drei uniformierte Polizisten. An der Rolltreppe am linken Ende des Bahnsteigs lag ein Stück Plastikfolie. Daneben stand ein Polizist. Und unten auf den Geleisen links lagen weitere Stücke Folie. Ein paar Kriminaltechniker gingen umher und fotografierten.
Als sie die Rolltreppe hinunterkamen, sagte der Polizist, dessen Erbrochenes Norlanders neue Schuhe um zirka zwei Zentimeter verpaßt hatte: »Ich hoffe, ihr seid auf das hier gefaßt.«
Seine Stimme war kaum als tragend zu bezeichnen.
»Nein«, sagte Viggo Norlander und hob die nächstliegende Plastikfolie an. Nyberg sah ihn von der anderen Sei te der Folie, ohne zu sehen, was darunter war. Norlander hockte ganz still. Ohne eine Miene zu verziehen, ließ er die Folie wieder fallen, kam langsam hoch und erbrach sich auf seine neuen italienischen Schuhe.
So ein Fall also, dachte Gunnar Nyberg und reichte dem Kollegen sein Taschentuch.
Er machte sich hart, ging in die Hocke und hob die Plastikfolie an. Darunter lag ein Unterkörper. Er begnügte sich mit der Feststellung und richtete sich wieder auf.
»War etwas in den Taschen?« fragte er den Polizisten, der daneben Wache stand.
Der Mann nickte und überreichte ihm einen verschlossenen Plastikbeutel.
Nyberg schaute hinein und sah ein Schlüsselbund, eine Brieftasche und sechs Handys. »Ahaa«, sagte er nur und schloß den Beutel wieder.
»Hamid al-Jabiri«, sagte der Polizeiassistent. »Vierundzwanzig Jahre alt. Aus Fittja. Zwei Vorstrafen wegen Körperverletzung und schwerem Diebstahl.«
»Ich sag’s ja«, sagte Nyberg und ging weiter den Bahnsteig entlang. Auf einer Bank saß Norlander und wischte sich die Schuhe ab. Er ließ ihn sitzen. Dann holte er einmal tief Luft und sagte zu dem Polizeiassistenten:
»Wollen wir uns den Rest ansehen? Wie heißt du übrigens?«
»Andersson«, sagte der Polizeiassistent und ging weiter, wobei er auf die Gleise zeigte: »Es sind drei Teile. Eins schlimmer als das andere.«
Nyberg sprang auf die Gleise hinunter, dicht gefolgt von Andersson, der fortfuhr: »Das nächste ist das schlimmste. Es ist nur ein Matsch. Oberkörper und Kopf. Der Kopf ist nicht spaßig.«
Nyberg hob die Folie an und sah, daß Andersson nicht gelogen hatte. Hier gab es nichts zu tun. Sie gingen weiter zum nächsten.
»Die beiden hier sind die Arme«, erklärte Andersson.
» Offenbar sind sie beide abgerissen worden. Sie sind etwas besser erhalten.«
Norlander tauchte auf, kreideweiß. Söderstedt? dachte Nyberg verwundert und hielt ihn, als er heruntersprang.
»Wieder auf dem Damm«, sagte Norlander, heroisch schniefend.
Die beiden restlichen Folien lagen dicht beieinander, vielleicht zehn Meter weiter als der Körper. In der ersten Hand, der rechten, saß ein Messer.
»Sieh mal an«, sagte Nyberg.
In der anderen Hand saß ein Handy.
»Eine letzte Beute«, sagte Nyberg. »Ich hoffe, er kann es noch brauchen.«
Andersson legte die Plastikfolie zurück und schwang sich locker hoch auf den Bahnsteig. Er war von dem schauderhaften Anblick merkwürdig unberührt. Nyberg und Norlander mühten sich ein wenig steif über die Kante. Es ärgerte Nyberg, daß es nicht glatter ging. Nach all der verfluchten Gesundheitskost.
»Reden wir jetzt mit dem Kumpan?« fragte Norlander keuchend.
»Adib Tamir«, nickte Andersson. »Genau die gleiche Vergangenheit: Körperverletzung und schwerer Diebstahl. Dreiundzwanzig Jahre. Mit Gehirnerschütterung.«
Sie waren auf dem Weg zum anderen Ende des Bahnsteigs, als ein Mobiltelefon klingelte. Nyberg und Norlander griffen beide zu ihrem. Nichts. Dann schaute Nyberg in den Plastikbeutel mit den sechs Handys. Er hielt das Ohr daran. Von da kam es auch nicht. Er warf einen Blick auf Andersson, der die Hände hob.
»Au Scheiße, verdammte!« stieß Gunnar Nyberg hervor und stürzte zurück zu dem anderen Gleis. Norlander und Andersson folgten ihm.
Sie sprangen aufs Gleis hinunter. Nyberg riß die Plastikfolie von dem linken Arm fort.
Das Mobiltelefon in der Hand klingelte.
Nyberg beugte sich hinunter und versuchte, den Griff der
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