Tiefer Schmerz
die Sonnenstrahlen vom Fenster der Damentoilette zu dem Glas eines Kitschbildes weitergeschickt, das in Waldemar Mörners Zimmer aufgehängt werden sollte und – in Erwartung des Eintreffens selbiger hoher Persönlichkeit – auf dem Fußboden gegenüber der Tür zur Kampfleitzentrale abgestellt worden war. Und schließlich als fünftes, daß die Sonnenstrahlen von dem erwähnten Kitschgemälde eines weinenden Kindes durch die offene Tür in die Kampfleitzentrale weitergeleitet wurden.
Die Tür wurde geschlossen. Das Wunder war entmystifiziert. Und Jan-Olov Hultin ließ die Eulenbrille so tief seine gewaltige Nase hinuntergleiten, daß sie sich auf gleicher Höhe mit der makellos rasierten Oberlippe befand.
»Gute Neuigkeiten«, sagte Hultin neutral. »Aber die heben wir uns für später auf. Zunächst entschuldige ich mich bei Sara dafür, daß sie in das gestrige Fernsehdebakel hineingezogen wurde. Man muß ordentlich vorbereitet sein, wenn man neben Waldemar Mörner Platz nimmt.«
»Und man darf keinen ganzen Strauß von Mikrophonen verrücken.«
Wer hatte das gesagt? Wer war so wagemutig und verwegen, den Kopf in den Rachen des Löwen zu stecken? Man sah sich im Raum um und wartete auf den Augenbrauenkopfstoß.
Mit gemeinschaftlicher Anstrengung konnte der Ausspruch indessen zu Jan-Olov Hultin selbst zurückverfolgt werden. Selbstkritik? Eine drastische Persönlichkeitsveränderung war offenbar zu erwarten.
Schlaganfall? dachten vier Personen, deren Namen in alle Ewigkeit verborgen bleiben sollen.
»Es kam ein bißchen überraschend«, sagte Sara Svenhagen milde.
»Wir machen weiter«, sagte Hultin, als wäre nichts geschehen. »Die vorläufige Untersuchung der Spurensicherung am Südfriedhof hat nichts ergeben. Nicht einen brauchbaren Fußabdruck, nicht einen Fingerabdruck an Seil oder Körper. Dagegen Leonard Sheinkmans Fingerabdrücke auf mehreren Stücken des zerstörten Grabsteins unter ihm. Sollen wir das ganz einfach als ein Zeichen des Schmerzes deuten oder so, daß dieser Grabstein tatsächlich für ihn irgendeine Bedeutung hatte? War er auf dem Weg dorthin?«
»Der Name auf diesem Grabstein«, sagte Jorge Chavez, »ist als ›Shtayf‹ rekonstruiert worden. Nur das. Wir werden noch etwas über die Leiche herausfinden.«
»Das ist dein Job, Jorge«, sagte Hultin. »Und sonst? Was ist aus unserem Skinhead Andreas Rasmusson geworden?«
Kerstin Holm blickte in ein Papier. »Er hat anscheinend heute nacht eine Psychose bekommen. Er ist ins Söder-Krankenhaus eingeliefert worden.«
»Unter Bewachung?«
»Wenn man eine festgenommene Verdachtsperson ist, dann ist man bewacht. Ja, ein Assistent ist Tag und Nacht bei ihm. Den Informationen zufolge soll er vollkommen abgedreht sein.«
»Ich halte es für sehr wichtig, daß wir erfahren, was die Skinheads gesehen haben«, sagte Hultin. »Es muß möglich sein, herauszufinden, wer seine Freunde waren, mit wem er gestern zusammen war, etcetera, etcetera. Gunnar?«
»Okay«, sagte Gunnar Nyberg.
»Allerdings nach der Universität. Du und Viggo und der Kollege Andersson sollt um zehn Uhr im Institut für Slawische Sprachen eine Slawistin mit Namen Ludmilla Lundkvist treffen. Nehmt Andersson mit und fahrt nach Frescati.«
»Da«, sagte Nyberg sprachkundig.
»Jetzt«, sagte Hultin brutalneutral und hielt ein Papier in die Höhe, auf dem ein großes Pluszeichen zu sehen war, »liegt mir diese Skizze vor, die mir vollkommen anonym zugegangen ist. Sie besteht aus vier Segmenten …«
»Quadranten«, sagte Chavez.
Hultin gab ihm einen sehr langen und sehr neutralen Blick.
»… vier Segmenten, die der Reihe nach auf ›Skansen‹, › Skogskyrkogården‹, › Slagsta‹ und ›Odenplan‹ getauft sind. Unter ›Skansen‹ steht ›Fingerabdrücke, Pistole, Metalldraht, Seil, Epivu‹. Unter › Skogskyrkogården‹ steht ›Nächste Angehörige, modus operandi checken, Gehirnchirurg-Gutachten über Wirkung des Metalldrahts aufs Gehirn, Skinhead-Zeuge, andere Zeugen, Tatort checken‹. Ich habe hier gerade eigenmächtig ›Shtayf‹ hinzugefügt. Kann das von meinen Vorgesetzten in der Versammlung akzeptiert werden?«
»Ja klar doch«, sagte Chavez. »Gut gemacht, junger Mann.«
Wieder ein unendlich langer Blick. Dann: »Weiter. Unter ›Slagsta‹ steht: ›Check der Telefonate, Spurensicherungsprotokoll, Fahrzeug, Phantom-Zuhälter‹. Und unter ›Odenplan‹ steht: ›Handy, Gesprächsliste, Sprachexperte‹«.
Jan-Olov Hultin stand auf und ging
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