Tiefer Schmerz
modus-operandi- Untersuchung . Punkt zwei, ›Pistole‹. Bisher keine Rückmeldung wegen der Seriennummer der Luger. Aber – und ich habe euch eingangs gute Neuigkeiten versprochen – der erste Punkt unseres anonymen Künstlers lautet ›Fingerabdrücke‹.«
Wie die Dramaturgie es verlangte, bekam Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin die ungeteilte Aufmerksamkeit des Auditoriums. Er sagte: »Interpol hat zwei Antworten auf die Fingerabdrücke des Vielfraßmanns geliefert. Aus zwei Ländern. Griechenland und Italien. Der Vielfraßverspeiste war Grieche. Er hieß Nikos Voultsos, geboren 1968 in Athen. Das erste Urteil wegen Körperverletzung erfolgte in Griechenland 1983, da war er fünfzehn. Danach folgt eine ganze Latte mehr oder weniger grober Straftaten, unter anderem Kuppelei. Als er 1993 des Mordes an drei Frauen verdächtigt wird, verschwindet er. Jetzt taucht er in Italien auf. Obwohl, richtig auftauchen tut er auch wieder nicht. Nikos Voultsos steht offenbar die ganze Zeit unter Verdacht seitens der italienischen Polizei, aber sie können ihn nicht fassen. Er taucht nämlich in Italien unter, genauer gesagt in Mailand, wo er mindestens zwanzig schwere Straftaten begeht, Schutzgelderpressung, Drogenvergehen, Körperverletzung, Vergewaltigungen, Mord. Und wieder Kuppelei. Unser Mann ist also tatsächlich Zuhälter.«
Sara betrachtete Kerstin. Kerstin betrachtete Sara. Ihre Blicke verrieten Genugtuung.
»Die Information von der italienischen Polizei ist ziemlich vage«, fuhr Hultin fort. »Möglicherweise kann man zwischen den Zeilen ›organisiertes Verbrechen‹ lesen, und was das in Italien bedeutet, dürfte wohl klar sein.«
»Die Mafia?« fragte Chavez.
»Wenn man es ganz genau nimmt«, sagte Hultin, »ist die Mafia wohl ein sizilianisches Phänomen. Neapel hat seine Camorra, eine vergleichbare Organisation. Und dann gibt es eine norditalienische Entsprechung, die mindestens ebenso mächtig ist. Es hat den Anschein, als habe Nikos Voultsos Bordelle für die norditalienische Mafia betrieben. Wenn wir sie einmal so nennen wollen.«
»Und da kommt er ins kleine Schweden«, sagte Kerstin Holm. »Um für die norditalienische Mafia Bordelle zu betreiben?«
»Und wird statt dessen von Vielfraßen gefressen«, sagte Chavez. »Da kann man von alternativer Karriere sprechen.«
»Die italienische Polizei hatte ihn anscheinend im Visier. Sie verloren ihn Mitte April aus den Augen. Am dritten Mai starb er in Skansen. Man könnte sich vorstellen, daß den Bossen in Mailand so viel Aufmerksamkeit gar nicht lieb war und sie ihn wegschickten. Ungefähr wie in Der Pate. Michael Corleone. Aber wahrscheinlich hatte er auch einen Auftrag. Und es wirkt nicht ganz unwahrscheinlich, daß der mit Kuppelei zu tun hatte.«
Kerstin Holm überlegte laut: »Eine gute Woche vor dem Verschwinden geht eine Welle von Beunruhigung durch die Zimmer 224, 225, 226 und 227 im Norrboda-Motel in Slagsta. Da sind wir ungefähr am fünfundzwanzigsten April. Man kann sich natürlich vorstellen, daß dies der Zeitpunkt war, an dem Nikos Voultsos hier eintraf. Der erste Anruf der gewalttätigen Odenplanfrau erreicht Slagsta am Samstag, dem neunundzwanzigsten April. Bis um 22 Uhr 54 am Mittwochabend, nur wenige Minuten nach Voultsos’ Tod in Skansen, rufen sie einander an. Ein paar Stunden nach seinem Tod verschwinden sie.«
»Sie werden befreit«, sagte Sara Svenhagen atemlos.
»Sie ist wirklich Ninja-Feministin«, sagte Jorge Chavez und erntete einen verwunderten Blick seiner Ehefrau.
»Wenn das stimmt«, fuhr Kerstin fort, »hat sie also einen Mafioso ermordet. Und da muß man schnell verduften.«
»Alles das hängt eindeutig zusammen«, sagte Paul Hjelm. »Aber wo zu Teufel kommt Leonard Sheinkman ins Bild? Was hat der achtundachtzigjährige emeritierte Professor Leonard Sheinkman mit Nikos Voultsos und den Puffs der norditalienischen Mafia und mit extrem gewaltbereiten Ninja-Feministinnen zu tun? Warum wird er auf die gleiche Weise ermordet wie ein notorischer Vergewaltiger und Frauenmörder? Das paßt nicht zusammen.«
»Ich stimme dir zu«, sagte Hultin. »War es Zufall? Kam er zufällig daher? Kaum. Jemand hat ihn sehr intensiv gehaßt, aber es ist keinesfalls sicher, daß es diese Frau ist, die ihr Ninja-Feministin nennt, was das auch sein mag. Die Verbindung zu ihr ist zu schwach.«
»Gibt es ein Bild von diesem Nikos Voultsos?« fragte Kerstin Holm.
»Klar«, sagte Hultin und hielt ein Farbfoto eines dunkelhäutigen Mannes
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