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Tiefer

Titel: Tiefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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sehen.» – «Das ist der
Aduktor
», sagte der Mann, und Rieke verdrehte die Augen, während sie eine gelbe Glühbirne in eine Lampenfassung schraubte und ihm
     zwischen die Beine richtete. Sie überlegte. Dann ging sie die paar Schritte bis zum Kühlschrank, klaubte etwas Margarine aus
     der Packung und strich es über Schenkel und die bläulichen Hoden. Der Mann kicherte, und Rieke überlegte sich, ob sie sein
     Honorar kürzen sollte. Schließlich war sie aber doch ganz zufrieden, sprühte mit einem Luftbefeuchter seine Brust an und stäubte
     etwas roten Pigmentpuder über das Körperteil an ihm, das mit Sicherheit den meisten Grips hatte. Um seinen Kopf kümmerte sie
     sich nicht, die Frisur war ihr egal, ob er rasiert war, spielte auch keine Rolle, den Kopf würde sie nicht malen, soweit kam
     sie irgendwie |202| nie. Rieke nahm eine Flasche Gin, drehte die Tangerine-Dream-CD lauter und schlüpfte aus ihren Jeans. Mit der Palette in der
     Hand stand sie vor der bereits grundierten Leinwand und überlegte. Sie hatte noch nie ein Gemälde vollendet und auch noch
     nie eines verkauft. Dabei war sie eine gute Malerin, nicht so eine Kitschtrine, sondern eine richtig gute. In ihren Bildern
     sahen die Männerkörper, die sie malte, irgendwie verwüstet aus, sie wusste gar nicht, wie das kam, sie fing immer so diszipliniert
     an, zeichnete einen sicheren Umriss, schon während der Akademiezeit war sie von allen für ihr Freihandzeichnen gelobt worden,
     und auch in der Ausgestaltung. Wenn, wie ihre Professorin immer gesagt hatte, mit der Farbe auf die Skizze auch das Fleisch
     auf die Knochen kam, hatte sie eine sichere und ruhige Hand. Die Verwüstung hatte mit dem Sex begonnen. Rieke war eine Spätberufene.
     Die ganzen Jahre in der Akademie hatte es Verabredungen zum Milchkaffee gegeben, Kinobesuche oder Diskussionsrunden, Sex nie.
     Es war nicht so, dass sich Männer nicht für sie interessiert hatten, aber Rieke konnte es nicht ertragen, wenn sie von oben
     bis unten taxiert wurde, wenn sie wie eine Putenkeule beim Fleischer begutachtet wurde, ob man wohl noch ein zweites Mal mit
     ihr ausgehen sollte, und so ließ sie meist irgendeine Zickigkeit fallen und machte sich aus dem Staub, bevor ihre Verabredung
     in die körperlichen Details gehen konnte. Und auch das gegenseitige Modellstehen beim Zeichnen hatte sie gehasst, obwohl sie
     wusste, dass sie einen schönen vollen |203| Körper hatte, größer als die meisten Frauen, wie geschaffen für ein Revolutionsbild oder ein Denkmal. Aber seitdem sie ausschließlich
     hinter der Leinwand stand und die Männerkörper, die einige Meter von ihr entfernt lagen, standen oder saßen, dirigieren, arrangieren
     oder, wie sie es bei sich formulierte, «anrichten» konnte, hatte sich das geändert. Es überkam sie einfach. Ihr Strich wurde
     zittrig, und oft drückte sie den Pinsel so fest gegen die Leinwand, dass er sie durchbohrte oder an den Hölzern, die die Leinwand
     spannten, zerbrach. Auf ihrer sorgsamen, knötchenfreien Grundierung türmten sich Wülste und Krater von Farbe, sodass das Bild
     von der Seite wie ein Relief aussah. Rieke band sich ein Kopftuch um die weißblonden Haare und strich sich noch einmal mit
     dem Handrücken über die Stirn. Sie wusste nicht, wie es passierte. Sie wusste nur, dass sie irgendwann aus einem Rausch von
     Farbe und Fleisch aufwachen und das Gemälde wieder nicht vollendet sein würde. Sie nahm einen ganz dünnen Dachshaarpinsel
     und begann die Umrisse ihres Modell auf die Leinwand zu übertragen. Er hieß Moritz oder Maurice, aber im Grunde interessierte
     sie das auch nicht. Hingeräkelt lag er im gelben Licht vor ihr, die Beine weit gespreizt und zwischen seinen Schenkeln das
     Stillleben, um das es ihr eigentlich ging. Sie war besessen von diesen Formen, von der schlanken länglichen Form des Schwanzes,
     die aus dem borstigen Haarnest auftauchte wie ein Reptil aus grauer Vorzeit, und der rundlicheren zweigeteilten Hodenform
     darunter, die das Reptil bebrütete. |204| Manchmal legte Rieke ihre Modelle auch über ein besonders hohes Kissen vor sich hin und ließ sie die Oberkörper zurücklegen,
     sodass sie alles genau betrachten konnte, vor allem die merkwürdige Stelle unter dem Nest, an der nichts war, gar nichts,
     nur Haut, die sich in nichts von der an den Schenkeln oder am Po unterschied, da, wo es nicht hineinging ins Feuchte und Schlüpfrige
     wie bei ihr selbst, wo sich nichts auftat, kein Geheimnis sichtbar

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