Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
verwehrten eine ungehinderte Sicht auf die in Reihen gebauten, zweistöckigen Ferienappartements, die sich lose über den Park verteilten. Die Architektur war neumodisch modern, sicherlich streng kalkuliert, aber von folkloristischem Charme, mit Rundbögen, Patios, überdachten Terrassen und Lamellenfensterläden. Die obligatorischen Entlüftungskamine im maurischen Stil und die hellen, mit runden Tonziegeln eingedeckten flachen Dächer verstärkten die südländische Anmutung der Häuser und schafften für die Gäste aus dem hohen Norden eine Atmosphäre aufregender Andersartigkeit. Sie wirkten nicht fremdartig, nicht einmal exotisch, sondern sie empfingen die Gäste freundlich und weckten schon auf den ersten Blick die Aussicht, für die nächste Zeit komfortabel und schön untergebracht zu sein.
Jung drängte sich der Eindruck eines Sanatoriums auf, eines großzügigen Sanatoriums für begüterte Kranke, die Wert darauf legten und es sich etwas kosten ließen, den Zweck der Anlage hinter dem äußeren Eindruck verschwinden zu lassen. Es sollte nicht offenkundig werden, dass die Insassen eigentlich mit sich und der Welt fertig waren und dem Glauben anhingen, hier, wie von Geisterhand, reanimiert zu werden. Zu diesem Eindruck trug auch das viele Personal bei, das im Park und zwischen den Häusern emsig unterwegs war; Putzfrauen in grauen Kitteln mit ihren Reinigungswagen, Zimmermädchen in weißen Kitteln mit Karren voller schmutziger Bettwäsche und gebrauchter Handtücher und Gärtner in grünen Overalls, die das Laub zusammenharkten, das der Wind am Vormittag von den Bäumen geweht hatte. Auch ein paar Frauen und Männer in weißen Hosen, weißen T-Shirts und weißen Gesundheitslatschen schritten über die Anlage. Allerdings sahen sie zu gut aus, waren zu jung, zu schlank und zu sportlich gebaut, als dass sie zum akademischen Klüngel eines Krankenhauses gepasst hätten. Jung ordnete sie dem Personal des Fitness- und Wellnessbereichs zu.
Die Atmosphäre war auffällig ruhig und entspannt. Ein weinendes oder gar schreiendes Kind wäre hier nur störend aufgefallen. Das rhythmische Ploppen von Tennisbällen war nicht zu überhören. Jung ortete das Geräusch weiter weg zu seiner Rechten, versteckt hinter einer hohen und dichten Hecke.
Er vernahm jetzt auch die Stimme des Trainers. Senge hatte auf einem Ohr einen Hörschaden und redete lauter, als es nötig gewesen wäre. Man musste von diesem Handicap wissen, um ihm nicht eine Grobheit anzudichten, die er nicht hatte. Im Gegenteil, seine Sensitivität war hoch entwickelt. Dazwischen vernahm Jung die kurzatmigen Kommentare seiner Frau. Er war im falschen Moment gekommen. Er würde sie beim Training stören.
Jung setzte sich auf eine Bank und hörte von Weitem, ohne Sichtkontakt zu den Plätzen, dem sportlichen Treiben zu.
»Hallo, die Dame, etwas mehr Bewegung bitte, Tennis ist ein Laufspiel und kein Laufsteg für hübsche Mädels. Ja, so ist es richtig: nach vorn durchschwingen, dem Ball mit dem Schläger nachgehen. Wunderbar, weiter so. Und jetzt die Rückhand. Dem Ball entgegengehen, früh ausholen, seitlich stehen und nach vorn durchziehen. – Äh, du Gangster, willst du einen alten Mann zu Tode hetzen? Diese Rückhand musst du immer spielen, dann kommst du auch nach Wimbledon. Und jetzt komm nach vorn ans Netz. Gut so, aber beweglicher in den Hüften, steh nicht so rum wie eine Adlige. – Ja, so ist es gut, und smash und schon hast du den Punkt. Das will ich von dir sehen: Power. Du musst immer so spielen, dass dein Gegenüber den Ball nicht kriegt, auch im Training. Du musst dich daran gewöhnen. Weißt du, was Jimmy Conners mal gesagt hat? Er hasst jeden Ball, den der Gegner zurückbringt. Verstehst du? – Und noch einmal. Ja, das ist Klasse, wie ein Tiger. Und zurück an die Grundlinie, aber hoppla, gnädige Frau, nicht einschlafen. Und ausholen und schlagen. Nein, nein, nein. In die Knie gehen und durchschwingen, nicht ausruhen. Beinarbeit, Beinarbeit. Und jetzt nach vorn, komm, komm, komm. Ja, so ist’s gut. Wir sammeln jetzt mal die Bälle auf.«
»Puh, Gunnar, es reicht. Laufen ist nicht mein Ding. Ich will mich nicht totmachen und auch nicht nach Wimbledon. Wasser wäre gut. Für dich auch?«
»Danke, ich hab noch. Lass die Klinkelfee das machen. Trink ordentlich, denn gleich geht’s weiter. Wir spielen einen Satz. Und morgen ist Clubturnier unter Freunden. Da will ich die Gnädigste vorn sehen, alles klar?«
»Vorher üben wir aber
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