Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
nicht empfehlen. Es heißt übrigens richtig O Cabaz da Praia.«
»Ist das der einzige Fehler?«
»Das ist der kleinste«, erwiderte Amalia amüsiert.
»Und sein größter? Stirbt man etwa, wenn man da isst?«
Amalia ließ noch einmal ihr helles Lachen hören. Jung fing an, dem Geplänkel Vergnügen abzugewinnen und entspannte sich mehr und mehr.
»Möchten Sie von einem Schlepper angequatscht werden wie vor einer billigen Striptease-Bar?«, fragte sie schelmisch.
»Nein, das würde mich abstoßen.«
»Möchten Sie, dass Ihnen eine freche Möwe den Fisch vom Teller holt?« Sie sah ihn aus großen, braunen Augen fragend an.
»Nein, lieber nicht. Wo isst man denn da? Am Strand?«
»Nein. Aber die Terrasse liegt über der Klippe und ist offen. Darüber tummeln sich mehr Möwen als Gäste an den Tischen sitzen.«
»Und die Viecher sind so dreist?«, fragte Jung ungläubig.
»Sie wissen genau, wo es für sie etwas zu fressen gibt. Sie holen sich, was sie wollen.«
»Sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«, fragte er seufzend.
»Es ist zu teuer.«
»Gut, das passiert schon mal, wenn man sich nicht auskennt, oder?«
»Aber jetzt haben Sie ja mich. Ich bin hier zu Hause und kenne mich aus.«
»Sie haben recht. Ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge.«
Sie lächelten sich an.
»Ich habe aber auch einen ganz persönlichen Grund«, fuhr sie ernst fort. »Der Nachbar, das Restaurante O Dias, hat seinen Grill auf der Terrasse stehen. Wenn es windstill ist oder der Wind schlecht steht, werden sie nebenan eingeräuchert und es stinkt fürchterlich nach gegrillten Sardinen.« Sie rümpfte die Nase und verzog vor Ekel das Gesicht.
»Ja, das möchte ich Ihnen wirklich nicht zumuten«, beteuerte Jung. »Mir übrigens auch nicht. Und was machen wir nun?«
»Ich führe Sie in ein Restaurant, das Ihnen gefallen wird, glauben Sie mir.« Amalias Stimme hatte eine Festigkeit angenommen, die keinen Widerspruch duldete. Jung stellte mit Erstaunen fest, dass der Gedanke, sich ihrer Führung zu überlassen, ihm sehr attraktiv erschien. Er freute sich auf die Zeit mit ihr.
»Bis ich fertig bin, können Sie noch einen Kaffee trinken oder einen Aperitif«, schlug sie ihm vor.
»Okay. Das Restaurant ist nebenan, nicht wahr?«
»Ja, im Gebäude vor dem Pool. Ich bin gleich da.«
»Até já«, verabschiedete sich Jung vorläufig. Es machte ihm Spaß, seine wenigen Brocken Portugiesisch anbringen zu können.
Er verließ die Halle und ging die paar Schritte zum Gebäude am Pool. Jung betrat das Restaurant und setzte sich an den Tresen. Die Bedienung kam, und er bestellte sich ein Glas Vinho verde. Er bemerkte zu seiner Genugtuung, dass der Wein kein Casal Garcia war – eine Flasche mit kornblumenblauem Etikett, die Land auf, Land ab ausgeschenkt wurde –, sondern von der Quinta da Pousada stammte. Jung kostete den Wein, und sein Wohlgefühl steigerte sich weiter.
Nur der für portugiesische Restaurants anscheinend obligatorische Fernseher störte ihn. Auf einem großen Flachbildschirm im Hintergrund liefen stumm die Bilder von der Entführung an der Algarve. Jung drehte sich ab, nahm sein Glas und setzte sich auf die Terrasse. Er zwang sich, nicht zu denken, und versuchte, sich abzulenken.
Um den Pool herum herrschte beklemmende Leblosigkeit. Nur ein älterer Mann in Gummilatschen und Badeshorts saß ein paar Tische weiter vor einer Tasse Kaffee. Jung fiel auf, dass er sich vor dem Betreten der Terrasse ein Sweatshirt übergestreift hatte. Aber wo üblicherweise nur ein kleines, grünes Krokodil auf das Label verwies, trug dieses Kleidungsstück sein Markenzeichen hundertfach vergrößert auf dem Rücken. Die affige Übertreibung ließ Jung mit dem Kopf schütteln. Er stellte sich vor, wie es hier im Hochsommer zugehen würde, wenn die Anlage von Urlaubern überquoll; von Menschen in Gummilatschen, Shorts, Strohhüten und Ballcaps, mit eingeölten, faltigen, fleckigen Oberkörpern, von Frauen in schlecht sitzenden Bikinis, denen ein Schwimmanzug viel besser gestanden hätte und darüber hinaus ein sympathischer Ausweis ihrer Fähigkeit gewesen wäre, sich selbst und ihrer Umgebung nicht mehr zuzumuten, als für ein paar gesunde Bahnen im Pool nötig war. Jung fragte sich ernsthaft, warum Urlauber unter einem unstillbaren Zwang zu stehen schienen, sich überall und immer hemmungslos zu entblößen. Wenigstens das Ozonloch und die immer gefährlicher werdende UV-Strahlung sollten sie doch dem vernünftigen Gedanken näher
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