Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
geleitete sie ins Wohnzimmer und bot ihr einen Platz auf dem Sofa an.
»Das hat sie Ihnen erzählt? Ja, so ist sie.« Ihre Stimme klang liebevoll, aber auch vor den Schrullen ihrer Mutter resignierend. »In Wahrheit will sie mich von Senhor Tiny fernhalten. Sie befürchtet, er fällt über mich her, wenn er mich sieht.« Sie lachte herzerfrischend und zeigte zwei Reihen gesunder Zähne.
»Das hat sie mir nicht erzählt«, fiel Jung in ihr Lachen ein. »Und bei mir hatte sie diese Befürchtung nicht? Ist das nun ein Kompliment oder eine Beleidigung?« Sie lachten beide. »Jetzt weiß ich auch, wie Ihre Mutter die Einkäufe von Senhor Tiny immer problemlos erledigt hat. Sie haben ihr geholfen, stimmt’s?«
»Ja, natürlich. Sie ist zu stolz zuzugeben, irgendetwas nicht bewältigen zu können. Sie macht keine Worte darum.«
»Dennoch hat Senhor Tiny irgendwie herausgefunden, dass Ihre Mutter nicht lesen und schreiben kann«, bemerkte Jung leise.
»Wenn man miteinander zu tun hat, dann lässt sich das auf Dauer nicht verbergen«, erwiderte sie nüchtern.
»Dann muss aber Ihre Mutter schon sehr lange für Senhor Tiny arbeiten.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Er fliegt, scheint mir, immer noch sonstwo herum, ist selten auf dem Boden, schon gar nicht bei Ihrer Mutter.«
»Ja, Sie haben recht. Meine Mutter arbeitet schon eine Ewigkeit für ihn und will ihre Arbeit auch nicht verlieren. Sie braucht das Geld.«
»Ich hoffe, sie arbeitet für mich genauso gern wie für Senhor Tiny. Hoffentlich reicht der Lohn.«
»Sie hat nur gut von Ihnen gesprochen«, versicherte Rosa lachend. »Sie hat besonders Ihren Wein gelobt.« Ihr Lachen wirkte auf Jung ansteckend.
»So, hat sie das.«
»Außerdem habe ich Ihre Frau kennengelernt, Herr Jung.«
Er sah Rosa verdattert an.
»Ich arbeite im Club Aldiana«, erklärte sie lächelnd. »Ich habe mich lange mit ihr unterhalten. Sie haben eine sehr attraktive und intelligente Frau, Herr Jung. Meinen Glückwunsch.«
»Danke«, erwiderte er wortkarg. Er wollte nicht weiter erklären müssen, warum Svenja im Club Urlaub machte und er hier, getrennt von ihr.
»Meine Mutter mag Sie trotzdem«, fuhr Rosa fort, als hätte sie von seinem Gesicht abgelesen, was ihm durch den Kopf ging.
»Wo ist sie überhaupt?«
Jung stand auf und rief Marias Namen in Richtung Küche. Sie tauchte an der Tür zum Wohnzimmer auf, als hätte sie dahinter schon einige Zeit gelauscht.
»Olá, mae. Estas aqui. Onde estavas?«
»Olá, filia. Estou na cosinha como sempre«, sagte sie wegwerfend. »A casa esta pronto, Senhor Tomi. Vamos. Nao temus muito tempo.«
»Meine Mutter hat es immer eilig«, seufzte Rosa und erhob sich.
»Haben Sie es weit nach Hause?«, erkundigte sich Jung.
»Wir wohnen in Almansil, nicht weit weg vom Club Aldiana.«
Jung zog die Augenbrauen hoch.
»Könnten Sie mich mitnehmen und im Club absetzen? Ich sehne mich nach meiner Frau, wissen Sie?« Er legte allen Charme, zu dem er fähig war, in seine Stimme.
»Gern. Fahren wir!«, erwiderte Rosa energisch.
*
Sie verließen das Haus. Es hatte aufgehört zu regnen und der Wind war abgeflaut. Sie bestiegen Rosas Auto, einen geräumigen Renault Scénic, und Rosa startete den Motor. Sie fuhr das Fahrzeug, als wollte sie die Portugal-Rallye gewinnen. Jung wurde angst und bange, als sie die regennassen, engen Straßen entlangflitzte, die Kurven schnitt und mit halsbrecherischer Geschwindigkeit die abschüssigen Teilstücke hinunterdonnerte. Sie fuhr in die Kreisel wie in einen Gottesdienst, voller Vertrauen auf den heiligen Geist, der sie beschützte und dessen friedvolles Wirken dafür sorgte, dass niemand Schaden nahm. Und da alle paar Hundert Meter ein Kreisverkehr zu bewältigen war, faltete Jung bald krampfhaft die Hände und betete inständig um ihrer aller Überleben.
Er machte den schüchternen Versuch, sie zu bremsen, und fing ein Gespräch an.
»Wie kommt es, Rosa, dass Sie im Club Aldiana arbeiten? Ein schöner Zufall. Jedenfalls für mich.«
»Ich habe Touristik und Event-Management studiert. Übrigens in England. «
»Bei den Idiotas«, unterbrach Jung sie mühsam lachend. Rosa und Maria stimmten spontan in sein Lachen ein.
»Hat meine Mutter Ihnen das erzählt?« Rosa machte eine kurze Pause. »Sie hat recht. Die Engländer sind komplett verrückt.« Sie lachte. »Leider auch arrogant und überheblich, überhaupt nichts für uns Portugiesen.«
»Und deshalb sind Sie im Aldiana?«
»Ja, ich arbeite im
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