Tiefschlag
Dreißig mit viel Fleisch an Hüften und Hintern. Ihren Busen als «üppig» zu bezeichnen, war eine krasse Untertreibung. Sie lächelte und legte die Tüte Nüsse auf den Tisch vor sich. «Hi, Sam.»
«Hab gehört, du hast im Büro angerufen», sagte er. «Fühlst dich immer noch nicht so besonders?»
«Das geht vorbei», sagte sie. «Morgen bin ich wieder in Ordnung.»
Sam ging zu dem Tisch und zog sich einen Stuhl heraus. Er setzte sich ihr gegenüber. «Bist du sicher?» fragte er. «Kann ich gar nichts flir dich tun?»
Marie schüttelte den Kopf. «Frauenleiden», sagte sie lächelnd. Sie nahm seine Hand. «Es ist lieb von dir, daß du vorbeikommst, Sam. Aber ich hab’s jetzt schon fast geschafft. Morgen bin ich wieder in Ordnung.»
Sam konnte sich nicht vorstellen, welche Frauenleiden sie meinen könnte, ließ es jedoch dabei bewenden. Wieder legte sich Schweigen über sie. Zwischen ihnen nur eine Tüte Nüsse.
«Ich habe unten am Fluß eine Ente gesehen, die von einer ganzen Horde vergewaltigt wurde», sagte er.
Marie riß die Augen auf. «Mein Gott, was hast du getan?»
«Ich hab überhaupt nichts getan.»
«Was ist passiert?»
«Da war diese Ente, direkt am Ufer. Klein war sie. Und dann waren da mehrere Erpel. Vielleicht sechs oder sieben. Die haben sie einer nach dem anderen genommen. Wenn der eine fertig war, kam direkt der nächste. Die haben sie einfach festgehalten. Sobald sie versuchte abzuhauen, haben sie sie am Hals gepackt. Am Ende hat sie dann aufgegeben und es über sich ergehen lassen.»
«Und du hast nichts unternommen?»
Sam schüttelte den Kopf. «Was hätte ich denn tun sollen?»
«Mein Gott, du hättest sie aufhalten müssen.»
«Ich war wie gelähmt», sagte er. «Mein erster Gedanke war, du mußt sie daran hindern. Scheuch die Erpel weg und warte, bis die Ente sicher im Wasser ist. Aber dann dachte ich, Scheiße, das sind Enten. Ich meine, das ist die Natur, um Himmels willen, und genau das tun Enten eben. Es ist nicht richtig, sich da einzumischen.»
Marie schüttelte den Kopf. «So was kann nur ein Mann sagen», schimpfte sie.
«Ich war wirklich hin und her gerissen. Zuerst dachte ich, ich sollte mich einmischen, dann dachte ich, ich sollte es nicht tun. Und am Ende wußte ich dann nicht mehr, was ich tun sollte.»
«Also hast du nichts getan?»
«Ich habe sie beobachtet», sagte er. «Ich habe ihnen zugesehen, und ihr, und ihm. Als die Erpel genug hatten, sind sie einfach weggewatschelt und haben sie dort zurückgelassen. Schließlich hat sie sich aufgerappelt und ist wieder zum Fluß runter.»
«Du hättest sie daran hindern müssen», sagte Marie.
«Vielleicht. Aber richtig kam’s mir nicht vor. Wie überhaupt die Vorstellung, sich in andere Kulturen einmischen zu müssen, wobei wir immer denken, wir wüßten es am besten. Du verstehst, was ich meine, ja? Der wunderbare Weg des weißen Westens. Als wäre es unsere heilige Pflicht, dem Rest der Welt beizubiegen, wie man leben muß. Wie viele Kulturen sind genau wegen dieser Einstellung unterhöhlt und tödlich geschwächt worden?»
«Sam, wir reden hier von Enten, nicht über Kulturen. Wenn man eine Ente leiden sieht, überhaupt irgendein Tier, dann unternimmt man etwas dagegen.»
«Ja, ich weiß», sagte er. «Ich gebe zu, ich war da draußen etwas verwirrt. Ich bin einfach nicht dahintergekommen, ob sie litt oder ob es eine völlig natürliche Sache war. Ob irgendwas durch meine Einmischung geklärt oder alles nur noch schlimmer würde.»
«Eine Frau hätte das unterbunden», sagte Marie. «Jede Frau hätte es unterbunden. Man steht nicht einfach da und schaut zu, wie jemand, wie ein Lebewesen vergewaltigt wird.»
«Ich weiß nicht, ob ein Tier vergewaltigt werden kann», sagte Sam. «Oder ob sie ständig vergewaltigt werden. Ich meine, ihr Einverständnis werden sie ja wohl kaum geben können, oder?»
«Es fällt mir schwer zu glauben, daß du all diese Dinge sagst, Sam. Wenn sie brünstig werden, verströmen sie einen speziellen Duft oder geben andere Signale. Wenn es okay ist, wenn sie bereit sind, dann haben sie ihre eigenen Wege, die Einladung auszusprechen. Wenn sie das nicht tun, wenn sie nicht brünstig sind, dann ist es falsch. Dann ist es wie eine Vergewaltigung.»
«Ja. Nur, ich bin keine Ente, Marie. Wenn ich ein Erpel wäre, vielleicht würde ich dann das Signal erkennen und wissen, wann es zu tun ist und wann nicht. Verdammt, diese Erpel heute morgen, kann doch gut sein, daß die alle gedacht
Weitere Kostenlose Bücher