Tiefsee
genau überwacht. Ich muß von einer Flucht mit einem Schiff in diese Richtung dringend abraten.«
Polewoj schaute angespannt aus den Fenstern seines Büros auf den Dzershinskij-Platz. Die späte Morgensonne bemühte sich vergebens, die schmutzigen Gebäude der Stadt aufzuhellen.
Ein verkniffenes Lächeln flog über seine Lippen. »Könnten wir sie sicher nach Miami bringen?«
»In Florida?«
»Ja.« Iranow starrte ins Leere. »Es besteht natürlich die Gefahr von Straßensperren, aber ich glaube, die könnte man überwinden.«
»Gut«, sagte Polewoj plötzlich entspannt. »Sorge dafür.«
Kaum drei Stunden nach der Flucht kam Lee Tong Bougainville aus dem Fahrstuhl des Laboratoriums und trat Lugowoj gegenüber. Es war kurz vor drei Uhr morgens, aber er sah aus, als schliefe er nie.
»Meine Männer sind tot«, stellte Lee Tong ohne eine Spur von Gefühl fest. »Dafür mache ich Sie verantwortlich.«
»Ich ahnte nicht, daß dieser Fall eintreten könnte«, verteidigte sich Lugowoj leise, aber fest.
»Wieso konnten Sie es nicht ahnen?«
»Sie hatten mir versichert, daß diese Räume ausbruchsicher sind. Ich nahm nicht an, daß er tatsächlich einen Versuch unternehmen würde.«
»Wer ist er?«
»Paul Suworow, ein KGB-Agent, den Ihre Leute irrtümlich von der Staten-Island-Fähre mitnahmen.«
»Aber sie wußten es?«
»Er meldete mir seine Anwesenheit erst, nachdem wir ankamen.«
»Und dennoch haben Sie nichts gesagt.«
»Das stimmt, denn ich hatte Angst. Wenn dieses Experiment zu Ende ist, muß ich nach Rußland zurückkehren. Glauben Sie mir, es lohnt sich nicht, sich unseren Staatlichen Sicherheitsdienst zum Feind zu machen.«
Die tiefsitzende Angst vor dem Mann hinter einem selbst.
Bougainville erkannte sie in den Augen jedes Russen, den er kennengelernt hatte. Sie fürchteten Ausländer, ihre Nachbarn, jeden Uniformierten. Sie hatten so lange damit gelebt, daß dieses Gefühl so allgemein verbreitet war wie Ärger oder Glück.
Er war weit davon entfernt, Mitleid mit Lugowoj zu haben, vielmehr verachtete er ihn statt dessen, weil er freiwillig in einem so diktatorischen System lebte.
»Hat dieser Suworow dem Experiment in irgendeiner Form geschadet?«
»Nein. Der Vizepräsident hat eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, aber er steht wieder unter Beruhigungsmitteln. Der Präsident blieb unversehrt.«
»Es wurde dadurch nichts verzögen?«
»Alles verläuft programmgemäß.«
»Und Sie rechnen damit, daß Sie das Experiment in drei Tagen abschließen können?«
Lugowoj nickte.
»Sie haben aber nur noch zwei. Ich muß Ihren Termin vorverlegen.«
Lugowoj tat so, als hätte er nicht richtig gehört. Dann wurde ihm die Situation klar. »O Gott, nein!« keuchte er. »Ich brauche jede Minute. Im Augenblick drängen mein Team und ich das Programm, das dreißig Tage dauern sollte, schon auf zehn Tage zusammen. Sie vereiteln dadurch alle unsere Vorsichtsmaßnahmen. Wir brauchen mehr Zeit, um das Gehirn des Präsidenten zu stabilisieren.«
»Das ist Präsident Antonows Problem, nicht das meine oder das meiner Großmutter. Wir haben unseren Teil der Abmachung erfüllt. Sie haben den Ihren dadurch gefährdet, daß Sie einem KGB-Mann Zutritt verschafften.«
»Ich schwöre, daß ich mit Suworows Ausbruch
nichts
zu tun habe.«
»Das behaupten
Sie. Ich
bin der Ansicht, daß seine Anwesenheit geplant war, wahrscheinlich sogar auf Präsident Antonows Weisung hin. Suworow hat bestimmt seine Vorgesetzten inzwischen informiert und sämtliche sowjetische Agenten in den Staaten auf uns angesetzt. Wir werden die Anlage daher verlegen müssen.«
Das war der endgültige, vernichtende Schlag. Lugowoj sah aus, als müßte er ersticken.
»Unmöglich!« brüllte er wie ein verwundeter Stier. »Es ist vollkommen unmöglich, daß wir den Präsidenten und die gesamte Ausrüstung an einen anderen Ort befördern und dennoch Ihre lächerlich kurze Frist einhalten!«
Bougainvilles Augen verengten sich, und er starrte Lugowoj für einen Augenblick an. Als er wieder sprach, klang seine Stimme kalt wie Eis.
»Keine Sorge, Doktor. Ihre Aufregung ist unnötig.«
42
Als Pitt in Hiram Yaegers Büro trat, lag dieser schlafend auf der Couch. Mit seiner unordentlichen Kleidung, dem langen, wirren Haar und dem Bart glich er einem heruntergekommenen Alkoholiker. Pitt schüttelte ihn an der Schulter wach. Yaeger hob ein Augenlid, dann rührte er sich, brummte und setzte sich auf.
»Eine schwere Nacht?« erkundigte sich
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