Tiefsee
noch nie erlebt, daß ein Präsident sich so lange nicht vor unseren Kameras zeigte.«
»Daran ist doch nichts ungewöhnlich«, widersprach Thompson. »Im Augenblick hat er eben nichts zu erzählen, das von nationalem Interesse wäre.«
»War er krank oder etwas Ähnliches?«
»Keineswegs. Er ist so gesund wie einer seiner Zuchtstiere.
Sie werden es ja sehen.«
Thompson durchschaute das Mißtrauen hinter diesen Worten, ging also weiter an dem Zaun entlang, unterhielt sich mit anderen Journalisten, klopfte ihnen auf die Schultern und reichte ihnen die Hand. Mayo beobachtete ihn eine Weile interessiert, bevor er widerwillig aufstand und sein Team zusammentrommelte.
Norm Mitchell, ein lässiger, gemächlich dahinschlendernder Gammlertyp, stellte seine Videokamera auf ein Stativ und richtete sie auf die hintere Veranda des Farmhauses des Präsidenten, während der kräftige Tontechniker Rocky Montrose das Aufnahmegerät auf einem kleinen Klapptisch dazuschaltete. Mayo stützte sich mit seinem Stiefel auf den Stacheldrahtzaun und hielt sein Mikrofon.
»Wo willst du bei deinem Kommentar stehen?« fragte Mitchell.
»Ich bleibe abseits der Kamera«, antwortete Mayo. »Wie weit schätzt du die Entfernung zum Haus und zur Scheune?«
Mitchell blickte durch einen Taschen-Entfernungsmesser.
»Ungefähr hundert Meter von hier aus bis zum Haus. Vielleicht achtzig bis zur Scheune.«
»Wie nah kannst du ihn herausbringen?«
Mitchell beugte sich über das Okular der Kamera und verlängerte die Zoomlinse, wobei er die hintere Gittertür als Bezugspunkt verwendete. »Ich kann ihn mit einem halben Meter Spielraum in die Totale bekommen.«
»Ich möchte eine scharfe Großaufnahme.«
»Das bedeutet einen 2X-Konverter, um die Reichweite zu verdoppeln.«
»Schraub ihn auf.«
Mitchell sah ihn fragend an. »Ich kann dir aber damit kein Bild mit scharfen Details versprechen. Bei dieser Entfernung müssen wir deshalb auf Auflösung und Tiefenschärfe verzichten.«
»Kein Problem«, meinte Mayo. »Wir machen ja keine Live-Sendung.«
Montrose blickte von seinem Tonbandgerät auf. »Dann braucht ihr mich doch überhaupt nicht.«
»Nimm jedenfalls den Ton ab und zeichne meinen Kommentar auf.«
Plötzlich kam Leben in das Heer der Medienkommentatoren, als jemand rief: »Da kommt er!«
Fünfzig Kameras traten in Aktion, als sich die Gittertür öffnete und der Präsident auf die Veranda trat. Er trug Cowboystiefel und ein Baumwollhemd, das in einer ausgebleichten Jeans steckte. Vizepräsident Margolin, der den großen Stetsonhut tief in die Stirn gezogen hatte, folgte ihm über die Schwelle. Sie blieben eine Minute im Gespräch stehen, der Präsident gestikulierte lebhaft mit den Händen, während Margolin nachdenklich zuhörte.
»Stell die Kamera scharf auf den Vizepräsidenten ein«, befahl Mayo.
»Hab’ ihn«, antwortete Mitchell.
Die Sonne stieg, weiter am Himmel empor, und die Hitzewellen flimmerten über der rötlichen Erde. Das Farmgelände des Präsidenten erstreckte sich nach allen Seiten: Es waren meist Gras- und Luzernefelder, mit ein paar Weiden für seine kleine Herde von Zuchtrindern. Das Grün der Felder, die von riesigen Berieselungsanlagen bewässert wurden, stand im Gegensatz zu den unfruchtbaren Gebieten ringsum.
Abgesehen von einer Pappelreihe an einem Bewässerungsgraben, breitete sich das Land als flache Einöde aus.
Wie konnte ein Mann, der den Großteil seines Lebens in solcher Abgeschiedenheit verbracht hatte, es zuwege bringen, Millionen von Menschen zu beeinflussen, fragte sich Mayo. Je öfter er die merkwürdige, krankhafte Selbstsucht der Politiker kennenlernte, desto mehr verachtete er sie. Er drehte sich um, spuckte auf eine Kolonie roter Ameisen und verfehlte ihren Tunneleingang nur knapp um ein paar Zoll. Dann räusperte er sich und schilderte die Szene ins Mikrofon.
Margolin drehte sich um und kehrte ins Haus zurück. Der Präsident benahm sich so, als befände sich das Pressekorps noch immer in Washington, und ging zur Scheune, ohne nur einmal in ihre Richtung zu sehen. Bald konnte man den Auspuff eines Dieselmotors hören, und er tauchte auf einem grünen John Deere-Traktor, Modell 2640, wieder auf, an den eine Mähmaschine angekoppelt war. Der Traktor hatte kein Schutzdach, der Präsident saß im Freien, hatte ein kleines Transistorradio am Gürtel befestigt und Kopfhörer aufgesetzt.
Die Korrespondenten begannen, ihm Fragen zuzurufen, doch er konnte sie offensichtlich infolge des
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