Tiefseeperle
Liebeskummers hatte sich fest um sie geschlungen. Unerbittlich bestimmte er ihr Leben.
Anfänglich hoffte sie auf eine Nachricht, checkte fast im Minutentakt ihren E-Mail-Account, litt Höllenqualen, weil die erhoffte Nachricht ausblieb. Von Maria erfuhr sie, dass er für eine unbestimmte Zeit in die Staaten gereist war. So verschwand ihre Hoffnung vollends, ihm zufällig zu begegnen, denn die Wohnung in ihrem Kiez hatte er trotz allem nicht aufgegeben.
Der restliche August verstrich, und auch im September änderte sich nichts. Eine Reise nach Cornwall, die ihr Ablenkung bringen sollte, brach sie ab. Sie konnte die Einsamkeit, die Weite der Landschaft, das, was sie eigentlich immer so geliebt hatte, nicht ertragen. Auch wenn man vielleicht alten Sprichwörtern nicht die Bedeutung zumaß, sie bewährten sich trotz allem. Auch in diesem Fall: Zeit heilt alle Wunden. Victoria lernte, mit dem Verlust umzugehen. Die Hoffnung, die bekanntlich zuletzt stirbt, starb an jenem Tag, als sie erfuhr, dass er wieder aus den Staaten zurückgekehrt war und eine Party veranstaltete. Doch sie wartete vergeblich auf eine Einladung. So fand sie endgültig wieder in ihr altes, diszipliniertes Leben als Lady Du Mont zurück. Was blieb, waren ein paar wunderbare Erinnerungen an ein Sommermärchen voller Erotik und tiefer Gefühle.
Auch sonst schien sich alles zu fügen. Dank Catharinas grandiosem Verhandlungsgeschick und der Empfehlung durch Richter Engel verzichtete die Familie von Johannes auf einen Prozess und überließ Victoria nun endgültig das Gemälde. Auf die Frage, was nun den eigentlichen Ausschlag für diese Kehrtwende gegeben habe, antwortete die Anwältin mit einem leichten Grinsen im Gesicht: „Manchmal kann der Gedanke an eine breite Öffentlichkeit auch Wunder bewirken.“ Offensichtlich hatte Catharina der Familie auf sehr subtile Weise vermittelt, dass sich die sexuellen Leidenschaften des Familienoberhauptes bislang vor der Öffentlichkeit verbergen ließen. Allerdings könne man nicht sicher sein, ob dies bei einem Streit vor Gericht auch so bleiben würde.
„Du hast sie mehr oder weniger unter Druck gesetzt?“, Victoria war verblüfft, denn eine solche Seite hatte sie an ihrer äußerst korrekten Freundin nicht vermutet.
„Nun ja, sagen wir mal so …“, sie grinste verschlagen, „Die von Hohensteins legen natürlich Wert darauf, dass sie ihr astreines Image behalten. Wenn die Presse davon Wind bekommen hätte …“
„Aber das hätte mich auch ganz schön in Mitleidenschaft gezogen!“, warf Victoria ein.
„Natürlich hätte ich einen solchen Schritt nur gewagt, wenn wir uns abgesprochen hätten. Aber zum Glück ist dies ja nicht nötig.“
„Du hast gepokert?“
„Ja klar! Klappern gehört zum Handwerk.“
„Du bist schon genial“, Victoria war trotzdem sehr froh, dass es nicht zu einer öffentlichen Schlammschlacht gekommen war.
„Allerdings gab es noch einen weiteren Punkt, der sie zum Einlenken bewogen hat“, ihr Blick war vielsagend. Vic zog die Stirn in Falten.
„Tja, Xaver Bernstein war jüdischer Abstammung, seine Bilder galten bei den Nazis als entartete Kunst … die von Hohensteins waren damals der Partei sehr zugetan. Sie kommen ja auch aus München, wie die Familie des Künstlers …“
„Okay … ich glaube, ich verstehe, was du meinst“, Vic nickte leicht mit dem Kopf und rührte in ihrem Milchkaffee.
„Das Bild könnte möglicherweise nicht auf ganz korrektem Weg in den Besitz der Familie gelangt sein?“
„Du hast es erfasst. Ein heikles Thema.“ Catharina lehnte sich entspannt in ihrem Stuhl zurück. Die beiden Frauen saßen gemütlich im Café und genossen die letzten warmen Sonnenstrahlen.
„Die Reaktion lässt darauf schließen.“
„Ebenfalls gepokert?“
„Ja!“
„Du bist echt mutig“, Victoria war beeindruckt.
„Ich hatte eine solche Wut. Diese Arroganz und dieses Spiel mit ihrer vermeintlichen Macht … und da habe ich mir gedacht, was die können, kann ich auch.“
„Soll ich es denn trotzdem behalten?“, Victoria war sich nicht sicher.
„Süße, die Familie Bernstein hat sehr viele Gemälde zurückerhalten, und außerdem ist es ja gar nicht sicher, ob es auf diese Weise damals in den Besitz der Familie von Hohenstein gelangt ist.“
„Meinst du, ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben?“ Vic war etwas verunsichert.
„Süße – du brauchst dir überhaupt keine Gedanken zu machen. Wenn jemand so ein Geschenk verdient hat,
Weitere Kostenlose Bücher