Tier zuliebe
eingeladen und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Ich sitze am Computer auf dem Dachboden und arbeite. Es ist zwar Wochenende, aber ich muss noch ein paar Texte schreiben. Das herrliche Wetter habe ich bisher erfolgreich ignoriert: Die Jalousien sind schon den ganzen Tag halb runtergezogen und die doppelt verglasten Fenster lassen das Gezwitscher der Vögel außen vor. Die würden laut verkünden, dass er endlich da ist, der erste, lang herbeigesehnte laue Sommerabend in diesem Jahr 2010, das bisher nicht viel zu bieten hatte an Sonne und Wärme. Ein Abend wie geschaffen dafür, den Grill im Garten anzuschmeißen. Arbeiten kann ich morgen schließlich auch noch. Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Grillen? Ich bin doch frischgebackene Vegetarierin! Ich darf ja weder Steak noch Wurst auf den Rost werfen!
Soll das meine Zukunft sein: Ausschluss vom kulinarisch gekrönten Zusammenkommen mit Freunden? Als ich vor vier Wochen aufgehört habe, Fleisch zu essen, habe ich an solche Situationen gar nicht gedacht. Ich hatte mich im Vorfeld nicht wochenlang mit detaillierten Ernährungsplänen beschäftigt, keine Fachliteratur über Vegetarismus gewälzt oder weise Ratschläge von vegetarischen Mitstreitern eingeholt. Nicht einmal entsprechend eingekauft habe ich vor dem Tag X. Ich habe einfach aufgehört. Wie konnte ich das übersehen?, frage ich mich jetzt, da ich mich ausgeschlossen fühle vom kollektiven Genuss. War es womöglich der falsche Zeitpunkt?
Teil 1
Mitgefühl und Konsequenz
Die Frage hat für die Menschen nicht zu lauten: Können die Tiere denken? Sondern sie hat zu lauten: Können die Tiere leiden? Darüber aber gibt es wohl keinen Streit, und das Wissen um diese Leidensfähigkeit muss daher die Hauptsache sein bei jeder Betrachtung der Tierseele durch den Menschen.
(Jeremy Bentham)
Es ist ein kühler Sonntag und ich bin mit meinem Freund im südlichen Schwarzwald unterwegs, in einer Gegend, in der einem kaum eine Menschenseele begegnet. Idyllisch ist es im Hotzenwald. Nach einer dreistündigen Wanderung kommen wir zurück zum Ausgangspunkt, einem Waldparkplatz an einer wenig befahrenen Landstraße. Vielleicht alle zehn Minuten kommt hier mal ein Auto vorbei. Wir packen gerade unsere Jacken und Rucksäcke in den Kofferraum, als wir Zeugen eines Unfalls werden: Ein kleines weißes Kätzchen huscht über die Straße und wird ausgerechnet von dem einzigen Fahrzeug weit und breit erfasst. Der Fahrer des Geländewagens bremst kurz ab, wirft einen Blick in den Rückspiegel und drückt dann gleich wieder aufs Gaspedal. Zurück bleibt die angefahrene Katze, die jämmerlich maunzend mitten auf der Fahrbahn liegt. Eine kleine Blutlache hatte sich unter ihr auf dem Asphalt gebildet. Ratlos und schockiert stehen wir am Straßenrand. »Schau nicht hin«, meint mein Freund, aber das kann ich nicht. »Wir müssen etwas tun!«, rufe ich in meiner Verzweiflung.
Aber was? So grausam es klingt, es wäre ein Akt des Erbarmens, ins Auto zu steigen und das Kätzchen noch einmal zu überfahren. Aber wer soll das tun? Ich auf keinen Fall. Wie verdammt hilflos man in solch einer Situation ist! Die 110 wählen ist wohl auch keine Option – erstens, was soll ich da sagen? »Wir stehen gerade irgendwo im Hotzenwald, wie das nächste Dorf heißt, weiß ich nicht, aber da liegt eine kleine Katze halb überfahren auf der Straße. Ob sie noch lange lebt, wissen wir nicht, aber sie schreit erbärmlich und Sie müssen sofort kommen und helfen.« Zweitens habe ich keinen Empfang.
Ich schaue also weg und wieder hin, weg und wieder hin und hoffe, dass ein schneller Tod das Tier erlöst. Ist es nicht schon halb tot? Doch dann dreht sich die Katze aus eigener Kraft um und kauert auf allen vieren. Sie schaut mich mit großen Augen an und miaut leise. Sie ist also doch nicht halb tot, sie kommuniziert mit mir – oder versucht es jedenfalls. Ich muss auf die Straße gehen und sie wegtragen, denke ich. Wird sie mich beißen und kratzen? Sind verletzte Tiere nicht unberechenbar? Was, wenn ich ihre Verletzungen verschlimmere oder ihr noch mehr wehtue? Während mir diese Fragen durch den Kopf schwirren, kommt noch ein Auto angerast und überrollt das Tier zum zweiten Mal. Es zuckt noch kurz, aber diesmal überlebt das Kätzchen es nicht. Es ist tot, niedergestreckt von zwei Autos, deren Fahrer nicht einmal anhalten, um zu sehen, was sie angerichtet haben.
Das Bild des Kätzchens geht mir tagelang nicht aus dem Kopf. Immer wieder
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