Tierarzt
ich mit der freien Hand das Stück Mullbinde, ließ es über seine Schnauze gleiten, zog die Schlinge fest und machte einen Knoten hinter den Ohren. Jetzt konnte er den Kiefer nicht mehr bewegen, und um ganz sicher zu gehen, legte ich sogar noch eine zweite Binde an.
Gewöhnlich gab auch das störrischste Tier zu diesem Zeitpunkt seinen Widerstand auf, und ich nahm an, auch bei Magnus würden sich Zeichen der Unterwerfung zeigen, aber die Augen über der weißen Mullbinde funkelten mich zornig an, und aus dem Inneren des kleinen Körpers drang ein wütendes Knurren, das anstieg und abnahm wie das ferne Summen von tausend Bienen.
Bei manchen Tieren half ein strenges Wort. »Magnus!« fuhr ich ihn an. »Genug jetzt! Benimm dich!« Ich schüttelte ihn am Genick, um ihm klarzumachen, daß ich nicht spaßte, aber die einzige Antwort war ein feindseliger Seitenblick aus den leicht hervorstehenden Augen.
Ich griff nach der Nagelzange. »Nun gut«, sagte ich matt.
»Wenn du es so nicht willst, dann eben anders.« Ich klemmte ihn unter den Arm, packte seine Pfote und begann zu schneiden.
Wohl oder übel mußte er stillhalten. Er wehrte sich verzweifelt und knurrte ununterbrochen böse vor sich hin, aber er war eingeklemmt wie in einem Schraubstock.
Ich ging sehr behutsam bei der Arbeit vor und war ängstlich bemüht, ihm auf keinen Fall weh zu tun, aber auch das änderte nichts an der Sache. Es war für ihn eine unerträgliche Schmach, sich einem anderen, fremden Willen fügen zu müssen.
Da ich oft erlebt hatte, daß man verhältnismäßig leicht eine freundschaftliche Beziehung herstellen kann, wenn sich erst einmal erwiesen hat, wer der Stärkere ist, schlug ich, als ich beinahe fertig war, einen zärtlichen Ton an.
»Braves Hündchen«, girrte ich, »gleich sind wir soweit. Und es war doch gar nicht so schlimm, nicht wahr?«
Ich legte die Nagelzange beiseite und streichelte seinen Kopf. Doch das Knurren hörte nicht auf. »Schon gut, mein Kleiner, jetzt nehmen wir dir als erstes diesen Maulkorb ab.« Ich knüpfte den Knoten auf. »Dann wird dir gleich wohler zumute sein.«
Sehr oft, wenn ich schließlich die lästige Binde abnahm, zeigte sich der Hund geneigt, die erlittene Schmach zu vergessen, und leckte mir manchmal sogar die Hand. Nicht so Magnus: Kaum war seine Schnauze aus der Schlinge, da machte er bereits einen erneuten, sehr achtenswerten Versuch, mich zu beißen.
»Mr. Beckwith«, rief ich. »Sie können ihn wieder holen.«
Auf der obersten Stufe drehte der kleine Hund sich noch einmal um und warf mir einen letzten erbosten Blick zu, ehe sein Herr ihn auf die Straße hinunter führte.
Offensichtlich wollte er mir sagen: »Glaub nur nicht, daß ich dir das je vergesse, mein Lieber.«
Das war jetzt Monate her, aber Magnus brauchte nur meine Stimme zu hören, und schon kläffte er wie verrückt. Zuerst hatten die Gäste sich darüber amüsiert, aber seit einiger Zeit fiel mir auf, daß sie mich so merkwürdig ansahen. Vielleicht dachten sie, ich hätte das Tier mißhandelt oder sonstwas. Die Sache war mir sehr unangenehm, denn ich wollte die ›Drovers’ Arms‹ nicht gern aufgeben; das Pub war selbst an kältesten Winterabenden gemütlich, und das Bier war gut.
Und woanders hinzugehen, war insofern keine Lösung, als ich auch dort wahrscheinlich unwillkürlich angefangen hätte zu flüstern, und dann hätten die Leute mich sogar mit einer gewissen Berechtigung merkwürdig angesehen.
Auch Timmy Butterworth hatte einen ausgesprochen nachtragenden Charakter. Er war ein Drahthaarterrier aus der Gimber’s Yard, einer kleinen Seitengasse der Trengate, und das einzige Mal, wo ich ihn behandeln mußte, war an einem Frühlingstag um die Mittagszeit.
Ich war gerade aus dem Wagen gestiegen und im Begriff, die Stufen zur Praxis hinaufzugehen, da sah ich ein kleines Mädchen eilig die Straße entlanggelaufen kommen, das mir verzweifelt zuwinkte. Ich blieb stehen und wartete.
»Ich bin Wendy Butterworth«, japste sie schreckensbleich. »Meine Mama schickt mich. Ob Sie bitte gleich zu unserm Hund kommen könnten?«
»Was fehlt ihm?«
»Er hat irgendwas gefressen!«
»Gift?«
»Ich glaube ja.«
Da die kleine Gasse ganz in der Nähe lag, lohnte es nicht, den Wagen zu nehmen. Von Wendy gefolgt, ging ich schnellen Schrittes bis zur Ecke von Gimber’s Yard, wo wir in den schmalen, überwölbten Torweg einbogen. Unsere Schuhe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, und nach ein paar Metern gelangten wir
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